Damit jeder weiß, wie sie aussieht

Körpercodes in Gips, Selbstinszenierungen für die „New York Times“ und plakativer Agit-Prop-Feminismus auf der Straße: Die Fotografin Matuschka im Wiesbadener Frauenmuseum mit Portraits nach ihrer Brustamputation  ■ Sabine Kohlstadt

„Matuschka“, der Name vereint Kunstobjekt und Künstlerin: Im weißen Kleid mit tiefem Ausschnitt zeigt die Fotografin und Performerin ihre wulstigen Narben – dort, wo einmal ihre Brust war. Das Bild mit dem Titel „Beauty out of Damage“, 1993 auf der Titelseite der New York Times, machte Matuschka weltweit bekannt. Jetzt sind auch ihre fotografischen Selbstinszenierungen erstmals in Deutschland zu sehen, die Ausstellung „Matuschka“ im Wiesbadener Frauenmuseum ist die bisher umfangreichste der prominenten Amerikanerin.

Kurze Haare und lange Beine, ein rot gemalter Mund mit makellosen Zähen. Dazu große dunkle Augen und eine kräftige Stimme – Matuschka ist sich ihrer Wirkung als „schöne starke Frau“ bewußt. Mehr als diese Zuschreibung beeindruckt aber ihre unglaubliche Offenheit. Sie spricht ebenso selbstverständlich wie lexikalisch von ihrer Krankheit und beantwortet ohne Zögern auch intimste Fragen: Nein, mit der Brustamputation sei ihr damaliger Freund überhaupt nicht zurechtgekommen, die Beziehung ist daran zerbrochen. Oder das blöde Gefühl bei neuen Männern: „Wie sag ich's ihm?“ Und die Angst, wie er reagieren wird ... Aber seitdem ihre Fotos so bekannt geworden sind, geht alles einfacher: „Da weiß sowieso jeder, wie ich aussehe!“

Das ehemalige Fotomodell arbeitet schon seit mehr als zehn Jahren auch auf der anderen Seite der Kamera an Selbstportraits. In den achtziger Jahren arrangierte sie ihren mit Tüchern oder Folie umwickelten Körper vor allem in verlassenen Gebäuden und posierte mit Gipsabdrücken ihrer Brüste. Diese Fotos sind mit Hilfe von AssistentInnen entstanden. Die „Schönheit“ der gestylten Bilder ist jedoch von gespenstischer Leblosigkeit.

Auch als ihr 1991 Brustkrebs diagnostiziert wurde, wollte Matuschka nicht aufhören, ihren Körper zu beobachten. Mit Fotos dokumentiert sie die Chemotherapie und alle Veränderungen ihres Körpers durch den Krebs und seine Behandlung. Sogar ihre Operation ließ sie filmen.

Und sie betrachtete die Portraits der ebenfalls brustamputierten Fotografin Susan Markisz. Auf ihren Bildern bedeckte Markisz die verschwundene Brust mit der Hand oder senkte den Kopf, um ihr Gesicht zu verbergen. Matuschka sah in diesen Fotos „Trauer, Scham und die Unmöglichkeit, sich selbst in diesem Zustand zu akzeptieren“ – vermißt habe sie dagegen die Darstellung von „Würde, Stolz und Selbstbewußtsein“. Diese Bilder vor allem haben sie darin bestärkt, sich mit der Krankheit offensiv auseinanderzusetzen und das auch auf ihren Fotos zu zeigen.

Der eigene Körper wird zum Zentrum ihrer Auseinandersetzung mit der Krankheit und dem gesellschaftlich propagierten Frauenbild gemacht. Damit verknüpfen sich bei Matuschka medizinisches Verständnis für den weiblichen Körper, plastische Chirurgie und Silikondebatte ebenso wie Selbstakzeptanz oder die Vorstellung von Krankheit als Strafe. Seit Anfang der neunziger Jahre engagiert sich die feministisch geprägte Künstlerin in den USA für den Ausbau der Krebsvorsorge und eine Enttabuisierung im Umgang mit der Krankheit, wie es auch Susan Sontag in ihrem Buch „Krankheit als Metapher“ gefordert hatte. Matuschka allerdings bleibt nicht nur im Kontext der Galerie, sondern geht mit Berichten und Bildern an die Presse und auf die Straße. Zum Beispiel mit dem Plakat „Vote for Yourself“ – einem Aufruf an alle Frauen, nicht zu warten, bis Ärzte über ihr Leben entscheiden, sondern selber sachkundig und aktiv zu werden.

Dabei erscheint Matuschkas eigener Aktivismus schon fast unheimlich. Allein in den wenigen Tagen in Wiesbaden sind zwischen Fernsehinterviews und Pressekonferenzen drei neue Installationen entstanden. Sie malt, komponiert und arbeitet an mehreren Buchprojekten. Neben den Planungen für weitere Ausstellungen hat sie ihre Autobiographie ins Auge gefaßt. Memoiren mit 41? Für Matuschka ist dieses Lebensjahr eine „kolossale“ Schwelle, denn in diesem Alter ist ihre Mutter gestorben – an Brustkrebs. Daraufhin ist die damals Zwölfjährige von zu Hause weggelaufen. Drogensüchtig und vom Vater polizeilich gesucht, wurde sie ein Jahr später verhaftet. Sie änderte mehrfach ihren Namen und schlug sich als Tänzerin und Taxifahrerin durch.

Aber auch Matuschka ist nicht nur die strahlende Heldin, die anders als die meisten Betroffenen ihre Krankheit öffentlich, sichtbar gemacht hat. „Berühmt zu sein, ist sehr anstrengend“, seufzt sie an eine Ausstellungssäule gestützt nach der Pressekonferenz in Wiesbaden. Und hat für die Fotografen ein Lächeln angeknipst, das mit einem unfreundlichen „Are you ready?“ genauso plötzlich wieder erlischt.

Bis 30. 4. im Frauenmuseum Wiesbaden, Mi / Do 15-19; Fr und So 12-16 Uhr.