Dubrovnik widersteht den Barbaren

Die südkroatische Küstenstadt wird wieder beschossen / Die während der Belagerung zerstörten Gebäude werden renoviert / Die ersten Flüchtlinge kehren in ihre Dörfer zurück  ■ Aus Dubrovnik Erich Rathfelder

„Die Schäden an vielen Häusern sind schon repariert, die Erinnerung an das, was geschehen ist, wird jedoch niemals verlöschen.“ Anton Perovic, der gerne lacht und die lebenslustige südliche Mentalität der Bürger Dubrovniks ausstrahlt, ist ernst geworden. Die Belagerung der Stadt im Herbst 1991 durch montenegrinische und serbische Truppen werde eines der „einschneidenden historischen Ereignisse unserer langen Geschichte bleiben“, erklärt der Student der Geschichte. Er deutet auf die Spuren von Artilleriegrananten auf den Steinen des berühmten Stradun, der Prachtstraße im Zentrum der Altstadt. Die Granaten vermochten zwar nur einige Zentimeter in die wuchtigen Steinplatten einzudringen, doch die Metallstücke der dort zerborstenen Geschosse trafen die Wände der Häuserfronten. Nach dem Erdbeben von 1667 gebaut, ist gerade diese Häuserzeile Zeuge des Reichtums Dubrovniks oder Ragusas, der „Perle der Adria“. Erstaunlich ist, daß die durch den Beschuß entstandenen Schäden der Harmonie dieses architektonischen Glanzstückes nichts anhaben konnten. „Diese Zeichen des Terrors wirken schon heute wie Mahnmale gegen den Irrsinn des Krieges, sie sollten der Nachwelt erhalten bleiben“, sagt Anton Perović.

Der „Irrsinn des Krieges“ ist jedoch immer noch gegenwärtig. „Wir versuchen zwar normal zu leben und hoffen darauf, daß die Touristen unsere Stadt wieder in Scharen besuchen kommen.“ Der Student zupft verlegen an seinem Ohr. Die Ereignisse der letzten Tage zeigen, daß gerade daran nicht zu denken ist. Denn mit einigen Granaten wurden die vorösterlichen Hoffnungen der Dubrovniker Bevölkerung auf den Besuch von Urlaubern aus dem In- und Ausland jäh zerstört. Als am Donnerstag letzter Woche das acht Kilometer entfernte Dörfchen Oresac beschossen wurde und die Granaten völlig überraschend zwischen einer Häusergruppe einschlugen, einen Menschen töteten und drei weitere verletzten, war der Traum eines „normalen Ostern“ ausgeträumt. Weil zudem auf dem Flughafengelände Granaten Schäden angerichtet hatten, war an einen Besucherstrom nicht mehr zu denken.

So blieben die wieder aufgebauten Hotels der Stadt ziemlich leer. „Mit den Granaten wollen sie unser Wirtschaftsleben zerstören und unseren Überlebenswillen brechen.“ Die vierzigjährige Judy Hansal, die aus einer alteingesessenen Familie stammt, ist erbost. „Doch so leicht lassen wir uns in Ragusa nicht unterkriegen.“ Sie beruft sich auf den „Arbeitsethos“, der den Bürgern der Stadt seit jeher nachgesagt wird. Von sechzehn sehr stark beschädigten historischen Gebäuden der Altstadt seien heute schon dreizehn zumindest äußerlich renoviert. Selbst die Stadtbibliothek, die von 40 Geschossen getroffen wurde, sei wiederhergestellt. Die 14.000 historisch wertvollen Bände seien gerettet worden. Und auch in den meisten Privathäusern seien die Arbeiten im Gange. „Die ausgebrannten Interieurs, die Gemälde und wertvollen Möbel, dies alles ist jedoch nicht zu ersetzen.“

Ein Blick von einer Anhöhe genügt, um den Umfang der Arbeiten würdigen zu können. Viele der Dächer leuchten in frischem Rot, sie sind neu gedeckt worden. Der Schutt der beschädigten Hotels wurde ins Meer gekippt, die meisten der zerborstenen Fenster sind neu verglast. Die trügerische Ruhe der letzten Jahre verleitete die Stadtregierung sogar dazu, die Sandsäcke vor den historischen Fassaden und die hölzernen Schutzgebilde um die Denkmäler und Brunnen zu entfernen.

„Unsere Stadt hat schon vielen Bedrohungen widerstanden, in den vergangenen Jahrhunderten gelang es der Republik Ragusa immer wieder, mögliche Angreifer durch Diplomatie und Geld zu beruhigen.“ Stjepan F. überlegt einen Augenblick. Ob gegen die Venezianer, Türken, Franzosen oder Österreicher – den Bürgern Ragusas, der Diplomatie der Republik, sei es immer wieder gelungen, die direkte Konfrontation zu vermeiden. Der über 80jährige Professor setzt vorsichtig hinzu. „Schreiben Sie meinen Namen nicht, das könnte meinen Verwandten schaden, wenn ich sage: Gegenüber den heutigen Barbaren war jegliches Gespräch wirkungslos und zwecklos.“ Als sie die Stadt umzingelten, hätten sie nicht einmal versucht, die historisch wertvollen Gebäude zu verschonen. „Sie zielten gerade auf jene Gebäude, die von der UNO als Kulturgüter der Welt gekennzeichnet waren.“ Und um die Wirtschaft zu treffen, seien fast alle Hotels gezielt unter Beschuß genommen worden.

„Mich hat in der Tat der Widerstandswille der Bevölkerung erstaunt“, sagt Kathleen Wilkes, eine britische Philosophin, die am Inter-University-Centre Dubrovnik während der Belagerung tätig war und die Feiertage zu einem Besuch ihrer Freunde und Bekannten nutzt. Sie erinnert sich, wie 1992 die serbischen Streitkräfte durch die kroatische Armee nach und nach zurückgeschoben wurden. Als dann im Juni der Belagerungsring vom Norden her gesprengt worden war, „verspürten wir hier große Freude“. Und doch waren es die Verhandlungen, die der bedrängten Stadt und ihrem Umland mit insgesamt 80.000 Einwohnern wieder Luft verschafften.

Der Durchbruch gelang Ende September 1992 bei den Gesprächen zwischen dem kroatischen Präsidenten Franjo Tudjman und dem jugoslawischen Staatspräsidenten Dobisa Cosić. „Damals gab es eine günstige Konstellation für uns, die sich als Gegenspieler von Milosević gebenden serbischen Politiker Dobisa Cosić und Milan Panić wollten der Welt beweisen, daß sie zu Kompromissen in der Lage sind“, analysiert Judy Hansal. Von den Gerüchten, daß Tudjman als Gegenleistung für die Befreiung der Stadt den Befehl zum Rückzug der kroatischen Truppen aus Bosanski Brod gegeben habe, will sie wie alle Dubrovniker allerdings nicht gerne hören. „Wir waren froh über die Entscheidung, die unmittelbare Bedrohung war erst einmal weg, ohne Strom und Wasser durchzukommen macht nämlich keinen Spaß, dann die Opfer, die Flüchtlinge, alles dies war zuviel. Wir atmeten erst einmal durch.“

Die direkte Belagerung der Stadt war seitdem aufgehoben. Die Küstenstraße vom Norden her war wieder offen. Und auch aus dem südlich Dubrovniks liegenden Landstrich Konavle zog sich die serbisch-montenegrinische Armee zurück. Von November 1992 an wagten sich einige der Vertriebenen aus Konavle wieder in ihre Dörfer zurück, nach Mocici, nach Cilipi, nach Gruda. Was sie dort vorfanden, hat viele bis heute entsetzt. In Gruda waren von 220 Häusern 108 vollständig zerstört. „Hier hatten gar keine Kämpfe stattgefunden, die Soldaten haben mein Haus mutwillig in Brand gesteckt, das Bad und die sanitären Anlagen wurden durch Maschinengewehrsalven zerstört“, sagt eine 70jährige Frau aus Mocici.

Selbst die Ruinen des Hauses zeigen noch, wie wohlhabend die Menschen hier einst waren. Auf dem fruchtbaren Land wächst alles, was in diesem Mittelmeerklima gedeihen kann. Weingärten und Mandarinenbäume, Zitronenhaine und Gemüsebeete, Blumengärten und Artischockenfelder wechseln einander ab. Die Häuser sind aus dem berühmten weißen Stein Dalmatiens gebaut. Manche der Hauseingänge sind aus bestem Marmor. Und die Größe der Gehöfte weist auf den traditionellen Standard der Bauern in der der einstmals so stolzen Republik Ragusa hin.

„Sie haben nicht nur alle Möbel und technischen Geräte nach Serbien geschafft, selbst die Weinstöcke in den umliegenden Gärten haben sie abgehackt, von unseren 2.500 blieben lediglich 100 übrig,“ klagt die Frau. Besonders schmerze sie der Verlust einer Weinranke, die einst den ganzen Innenhof bedeckte und im Sommer den ersehnten Schatten spendete. Die über 100 Jahre alte Pflanze „wurde am letzten Tage der Besatzung durchgesägt“. Jetzt müsse sie eben von vorne anfangen. Im Flüchtlingslager in der Festung von Dubrovnik schlafend, gehe sie nun schon seit drei Jahren tagsüber in das Dorf, bestelle den Garten und räume den Schutt weg – „mein Mann ist ja tot und meine Tochter verschwunden“. Einen alten Ofen habe sie schon vor zwei Jahren rangeschafft. Wenn das Dach repariert sei, denke sie daran, wieder ganz nach hier überzusiedeln. „Der Sohn wird in einigen Tagen aus der Armee entlassen, dann ist es soweit, er wird hier alles übernehmen.“

Im Dorf Gruda haben wieder Bars und Restaurants aufgemacht. „Eine Woche vor Ausbruch des Krieges sollte dieses Lokal eröffnet werden. Als ich vor einem Jahr zurückkam, war die gesamte Einrichtung gestohlen. Die wird wohl jetzt in einem Lokal in Montenegro stehen“, schmunzelt der Wirt trotz des Verlustes. Und er deutet auf die Bergkette, die das Tal nach Osten hin abschließt. „Die ist jetzt in unserer Hand. Die bosnischen Serben können nur noch über die Berge hinweg auf uns schießen.“ Vom Süden jedoch könnten die Montenegriner jederzeit gezielt angreifen, denn das gesamte Tal sei von dort aus einzusehen. Wegen der anhaltenden Gefahr seien bisher lediglich 300 der früher 1.500 Einwohner zurückgekehrt. Die Schulen seien zwar wieder geöffnet, das Wirtschaftsleben beginne sich zu erholen. „Aber erst mit einem wirklichen Friedensschluß wird das Leben hier wieder erträglich sein.“

Vor den Cafés auf dem Stradun im Zentrum Dubrovniks sind Tische und Stühle nach draußen gestellt. Viele Gäste genießen die ersten Sonnenstrahlen nach den stürmischen Regentagen der letzten Wochen und nippen an ihren Capuccini mit „Schlag“. Es ist ein friedliches Bild und „fast wie früher“. Zlata G., eine Bosnierin, die in Dubrovnik aufgewachsen ist, erinnert an die Inschrift, die an einem ausgebrannten Haus angebracht ist. Es handelt sich um eine Stelle aus dem Stück „Dundo Maroje“ des Dichters Marin Drzić aus dem Jahre 1559. Und in ihm wird versprochen, daß die „Barbaren, die unser friedliches Leben zerstören, uns zwingen zu kämpfen, und daß wir nicht ruhen werden, bis sie ihre Strafe erhalten haben“.

Wird dieser Wunsch jemals in Erfüllung gehen? Es sind ja die „Barbaren“, die sich jederzeit mit ihrer Artillerie wieder melden können. Und gerade an den Tagen zu Ostern werden diese Überfälle schon zur „Tradition“. So 1993, als die Schriftsteller der Welt darüber diskutierten, ob sie zu einem Kongreß des PEN-Clubs nach Dubrovnik kommen sollten. Die Granaten dienten manchen Schriftstellern als Vorwand, ihr Kommen „aus Sicherheitsgründen“ abzusagen. Oder 1994, als einige Granaten, wie auch dieses Jahr, die Touristen aus aller Welt zurückschrecken ließen. „Sie haben uns noch in der Hand“, sagt Zlata G. „Das haben sie jetzt wieder demonstriert. Und dennoch zeigt uns die Geschichte, daß Ragusa letztendlich jede Barbarei besiegt hat.“