Was lange gärt, wird gar

Aufruf zu einem Wettbewerb: Gesucht wird ein Denkmal für den russischen Anarchisten Michael Bakunin, der in Berlin studierte und vor 120 Jahren starb  ■ Von Bernd Kammer

Es gibt einen Präsidententeller, das Präsens, das Prärogativ, den Präriehund, die Präraffaeliten, das Präservativ, das Prämiensparen, die pränatale Medizin, die Präsidialkanzlei, die Präskription, das Präteritum, es gab die Prätorianer, es gibt Prätentiöses, die präkolumbianische Zeit – und es gibt Prähistorisches. Und aus eben diesen Gefilden entstammt die Idee eines Bakunin-Denkmals. Wann genau, wieso, warum, das alles ist nicht mehr so genau zu verifizieren, aber auf einmal war die Idee da. Wie das mit manchen Ideen so ist, entstehen, entwickeln sie sich im Erlebnisraum KaDeWe, in Meditationsräumen wie Kneipen, Destillen, während des Radfahrens in Mecklenburg-Vorpommern, verfolgen einen dann so lange, bis man die Faxen dicke hat und zur Tat schreitet. – Schreiten: „Wenn wir schreiten Seit' an Seit' und die neuen Lieder singen, wissen wir, es wird gelingen...“ (Bellizist Enzensberger, herhören, haben Sie schon gedient? Menschenskind, stehn Sie bequem. Es wird ein Bakunin- Denkmal geben, verstanden?!?)

Das war der

1. Streich

,

der

2. Streich

folgt sogleich:

21.34 Uhr, 21. Dezember, Anruf bei Funken:

Ich: Heraus zum 1. Mai!

Funken: Ich habe mir gerade eine elektrische Schreibmaschine gekauft.

Ich: Um diese Uhrzeit?

Funken: Quatsch.

Ich: Hast du schon die Architekturzeitschriften besorgt, wegen der Ausloberei?

Funken: Ja.

Ich: Wo soll eigentlich das Denkmal hin?

Funken: Da, wo jetzt noch die Siegessäule steht.

Ich: Aha, Siegessäule weg, Bakunin hin, auch nicht schlecht, dann hätten wir ja schon einen guten historischen Bezug zur Pariser Kommune.

Funken: Wieso Pariser Kommune?

Ich: Ja, weißt du denn nicht, daß die eingemauerten Kanonen die der Preußen waren, die die Kommune zusammengeschossen haben?

Funken: Du weißt aber viel.

Ich: Weißt du nicht, daß die Vergoldung dieses schrecklichen Engels oben auf der Säule, sowieso ein ekelhafter Staubfänger, eine Million Mark gekostet hat, ja, diese Gold-Else war so teuer, das Geld wurde aus dem Schulfonds abgezockt.

Funken: Wie kriegen wir nun diese Siegessäule weg?

Ich: Hm. Vielleicht sollten wir ein paar Junganarchos auftreiben, die das Ding des Nachts in die Luft jagen; aber bitte erfolgreicher als Reinsdorf und seine Genossen, die 1883 versuchten, das Niederwalddenkmal bei Rüdesheim am Rhein zu sprengen, als der Kaiser, Bismarck und sämtliche deutschen Fürsten dort herumlungerten.

Funken: Waren denn die Reinsdorfer nicht erfolgreich?

Ich: Nee, die Zündschnüre waren naß geworden – die Leute wurden geschnappt.

Funken: Traurig, traurig...

3. Streich

Brief von Uli Bohnen an mich:

„Lieber Anarcho Continuo,

...zunächst: An einer knallhartautoritären Jury wg. Bakunin- Denkmal beteilige ich mich gerne. Ich hab' schon noch ein paar Informatiönchen gefunden: Das Denkmal (Bakunin) stand am Miasnitskii-Tor in Moskau; es wurde 1918, wahrscheinlich zum 1. Jahrestag der Revolution, oder 1919 errichtet und stammte von Boris Korolew... Der Korolew war damals anscheinend recht bekannt und sein Denkmal viel diskutiert, so daß man bei gezieltem Suchen, vor allem in zeitgenössischen (russischen) Quellen, noch einiges finden dürfte.

4. Streich

Brief von Thea A. St.:

„Weiterhin überlege ich, ob ,Denkmal‘ wirklich originell ist. Denn letztlich hat es immer etwas Rückwärtsgewandtes an sich, und das ist nicht so positiv, wie Walter Benjamin die Erinnerung begrüßt. Man müßte dann also die Erinnerungskraft positiv umfunktionalisieren und deshalb überlegen, wie das denn ginge. Bei den heute laufenden Deserteur-Denkmal-Diskussionen sieht man ja noch, wie unausgegoren solche Projekte sind und welche Formen zu suchen sind, das sozial nicht Dominante aussprechen zu können. Meine Vorstellungen tendieren eh immer dahin, Unausgesprochenes durch Fragmente darzustellen, weil Harmoniegedanken ja eher die idyllischen Mentalitäten so anspricht... Der Kunstanspruch ist mir aber eigentlich etwas zu hoch gegenüber der sozialen Komponente, die Bakunin besaß... Ein Denkmal besitzt ja auch eine sprachliche Seite...“

5. Streich

Brief an das Büro für ungewöhnliche Maßnahmen, Berlin-Kreuzberg:

„Guten Morgen, hier spricht der automatische Anrufbeantworter; achten Sie bitte auf den Pfeifton, und nach dem zweistündigen Lied ,Die Tiroler sind lustig‘ sprechen Sie bitte oder schreiben Sie uns. – Ich habe in der taz vom 23. September 1989 Euren Aufruf gelesen, Denkmal-Verwandlungen bundesweit und westberlinerisch vorzunehmen. Das ist gut so. Wie wir alle wissen, liegt ja das Destruktive und Konstruktive sehr oft nah beieinander, überschneidet sich des öfteren... So ist der Lauf der Welt: Die einen wollen Denkmäler zerstören, die anderen wollen unbedingt eins. Wie können wir uns da einigen? Meine Idee ist: Man sollte Kriegsdenkmäler schonen und statt dessen, nach Maos Devise ,Laßt tausend Denkmäler entstehen‘, überall neue hinbauen. Da würde ich auf jeden Fall meiner Oma eins schenken; auch der Musiklehrerin, die immer so saftige Ohrfeigen in der Volksschule verteilte, wenn wir singen mußten:

Die Gedanken sind frei,

wer kann sie erraten,

sie fliegen vorbei

wie nächtliche Schatten,

kein Mensch kann sie wissen... (jetzt kommt die Backpfeife)

es ist alles beschissen...

Bernd Kramer.“

6. Streich

Uli Bohnen: „Aber jetzt Bakunin, und zwar im Klartext:

1. Die Idee ist fraglos gut, die Bezahlung des Preisträgers in Ost- Mark konsequent.

2. Wenn Ihr ernstzunehmende Künstler dafür haben wollt, muß eine Chance geschaffen werden, deren Entwürfe zu realisieren, d.h. auszuführen.

3. Das kostet D-Mark.

4. Siegessäule ist gut, aber warum dann nicht gleich auf dem Springerhochhaus, Gesicht gen Ostberlin? Oder KaDeWe-Gedächtniskirche in Bakunin-Gedächtniskirche umtaufen?

5. Ohne Kunst-Institutionen etc. bleibt das Ganze eine ,alternative‘ Veranstaltung, d.h. Bakunin als Pappkamerad auf dem Mariannenplatz plus Kinderfest und heiße Würstchen.

6. Eine ,Ausschreibung‘ ist also erst möglich, wenn solche Sachen zu Ende diskutiert sind.

7. (Schade, daß Beuys nicht mehr lebt, den hätte man um seine Teilnahme vielleicht umsonst bitten können. Vom Erlös des Verkaufs seines Entwurfes hättet Ihr die Siegessäule kaufen können)!

8. Fragt SPD- und KPD-Wichser wie den Klaus Staeck um Entwürfe und veröffentlicht die Antworten.

9. Jetzt konkret: Sendet allen, die Ihr um Teilnahme bittet, ein Foto von Bakunin und eine zündende Seite Text von ihm.“

7. Streich

„...natürlich stellen wir uns das Denkmal nicht nur dreidimensional vor, kann auch eine phonetische Attacke sein, aber nicht im Sinne von: Landwirtschaft und Industrie / produzieren wie noch nie / in der Sowjetunion / Technik und das Alphabet bringt dem Land der Stadtprophet/ Volksverdummung ist gewesen, heute läßt der Bauer äsen... Nein, nein, schön wäre eine Kombination aus Spaß-Guerilla und zeitgenössischer Kunst, was immer das auch sein mag; vielleicht doch Historienbilder, Präraffaeliten? ...“ (Brief an Detlef Kuhlbrodt).

Alle Künstlerinnen und Künstler sind aufgerufen, sich an dem Wettbewerb zu beteiligen. Einsendeschluß: 31. Oktober 1995. Die Modelle, Entwürfe sind an den Karin Kramer Verlag, Niemetzstraße, 12055 Berlin-Neukölln zu Hd. Herrn Dr. Dieter Scholz zu schicken. Bei Rückfragen: Tel.: 030/ 684 50 55. Fax 030/685 85 77.