Steinalte Rechte bergen Zündstoff

Erstmals seit Ende des Zweiten Weltkrieges verhandeln die großen Kirchen und das Land Berlin über einen Staatskirchenvertrag / Streit um Zuschüsse und Religionsunterricht  ■ Von Michaela Eck

Verhandelt wird schon seit Monaten, doch jetzt drängt die Zeit: Bis zum Sommer sollen die Verhandlungen zwischen dem Land Berlin und den Kirchen um die Staats-Kirchen-Verträge abgeschlossen sein. Ob diese Kirchen- Staats-Abkommen mit der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg und dem Erzbistum Berlin allerdings bis Juni abschließend beraten werden und noch in dieser Legislaturperiode das Parlament passieren können, ist fraglich.

Denn das Verhandlungspaket birgt jede Menge Zündstoff. Die Kirchen wünschen einen staatlichen Religionsunterricht und die Garantie, daß auch in Zukunft Staatsgelder in Millionenhöhe fließen. Angesichts der dramatischen Haushaltslage Berlins keine gute Ausgangsposition für die derzeit laufenden Verhandlungen zwischen dem Land und den Kirchen.

Während in den West-Ländern das Verhältnis Kirche und Staat schon seit Jahrzehnten per Staatsverträgen geregelt ist, verhandeln die Kirchen und das Land Berlin zum ersten Mal über derartige Verträge. West-Berlin durfte wegen der Alliierten Hoheitsrechte nach 1945 keine entsprechenden Verträge abschließen. Ersatzweise wurden 1970 Abschließende Protokolle vereinbart, die auf Verträgen fußten, die Preußen Ende der zwanziger und Anfang der dreißiger Jahre mit der katholischen und evangelischen Kirche geschlossen hatte.

Zur Debatte stehen in den neuen Staatsverträgen neben dem umstrittenen Religionsunterricht fast 30 weitere, meist unstrittige Artikel. Es geht um Glaubensfreiheit, Selbstbestimmungsrecht der Kirchen, Schutz und Anerkennung der Feiertage, staatliche Anerkennung von Schulen, Fachschulen und Studiengängen, die Regelung von Krankenhaus- und Gefängnisseelsorge sowie um staatliche Zuschüsse für Denkmalschutz und Friedhöfe. Probleme gibt es bei den Verhandlungen überall da, wo es für das Land teuer werden könnte.

In der Frage eines staatlichen Religionsunterrichts wird zur Zeit in der Koalition heftig gestritten. Die CDU hat sich zum Anwalt der Kirchen aufgeschwungen, doch der Koalitionspartner sieht keinen Handlungsbedarf. Die SPD sperrt sich gegen die Forderungen der Kirchen, Religion als ordentliches Lehrfach einzuführen. Sie sieht keine Notwendigkeit, den bisherigen Modus des freiwilligen Besuchs des Religionsunterrichts zu ändern. Bisher bieten die Kirchen Religion als freiwilliges Unterrichtsfach in eigener Regie an. Vom Land bekommen sie hierfür Subventionen.

Trotz allen politischen Streits prüft die Senatschulverwaltung derzeit im Auftrag des Parlaments, ob es finanziell verkraftbar ist, den Religionsunterricht an Berliner Schulen schrittweise als ordentliches Lernfach einzuführen. Auch wenn die Schulverwaltung zu dem Ergebnis käme, Religion als Lernfach sei finanziell verkraftbar, würde das dennoch entsprechend teurer werden als bisher, zumal die Personalkosten eines ordentlichen Lernfaches Religion nicht mehr nur subventioniert, sondern vom Land voll übernommen werden müßten, spekuliert Verhandlungsführer Manfred Becker von der Senatskulturverwaltung. „Kommt der Senat jedoch hier nicht zu einem einheitlichen politischen Votum, ist an einen Abschluß der Verhandlungen vor den Parlamentswahlen im Herbst nicht zu denken“, so Becker. „Gemeinsam mit den Kirchen sind wir ins Boot gestiegen, nun müssen wir kräftig rudern“, orakelt der Verhandlungsführer des Senats. Nicht leicht bei stürmischer See.

Neben dem Religionsunterricht sorgt auch der schnöde Mammon für einen hohen Wellengang. Waren für die evangelische und katholische Kirche bisher im Berliner Haushalt jährlich etwa 100 Millionen Mark reserviert, wird es angesichts der Sparzwänge des Landes nun womöglich auch mit den Zuschüssen für die Kirchen knapp. Der größte Subventionsposten sei, so Verhandlungsführer Becker, der Religionsunterricht. Allein diese Zuschüsse verschlängen fast 73 Millionen Mark. Finanzielle Zusagen müßten daher wohl kalkuliert sein, so Becker. Denn was einmal in den Verträgen festgeschrieben werde, gelte fast eine Ewigkeit.

Was die finanziellen Leistungen des Staates angeht, können die Kirchen allerdings auf steinalte Rechte verweisen. Diese gehen zurück bis auf die Säkularisierung während der Reformationszeit und auf den Reichsdeputationshauptschluß von 1803, als der Staat – beziehungsweise die Landesfürsten – zahlreiche Bistümer, Abteien, Klöster und Stifte einzog und sich verpflichtete, die Kirchen zum Ausgleich mit staatlichen Geldern zu unterstützen. Unter anderm verpflichtete sich damals der preußische Staat, Zuschüsse für die Besoldung von Pfarrern und Bischöfen zu bezahlen.

Das Vertragsinteresse ist jedoch beidseitig. Das Land müßte selbst viel Geld investieren, gäbe es nicht die konfessionell gebundenen – jedoch für alle zugänglichen – Einrichtungen der Kirchen, wie Kindergärten, Schulen, Fachschulen und Fachhochschulen, Krankenhäuser, Altenpflegeheime, Beratungseinrichtungen, Sozialstationen oder Telefonseelsorge. Andererseits ist es den Kirchen aber auch nur deshalb möglich, im medizinisch-sozialen Bereich so präsent zu sein, weil der Staat hier erheblich zuschießt. Gerade wegen der in der Verfassung festgelegten Trennung von Staat und Kirche müßten diese Dinge gesetzlich geregelt werden, betont Manfred Becker die Notwendigkeit der Verhandlungen.

Kirchen-Staats-Verträge beschränken sich nicht nur auf die katholische und evangelische Kirche. Jede anerkannte Religionsgemeinschaft kann mit dem Land einen solchen Vertrag schließen, sofern sie eine Körperschaft des öffentlichen Rechts ist und eine gesamtgesellschaftliche Bedeutung hat. Die Verträge basieren auf gegenseitiger Unabhängigkeit und können nicht einseitig geändert werden.

Jüdische Gemeinde hatte weniger Probleme

Auch die kleinere Religionsgemeinschaft der Jüdischen Gemeinde zu Berlin hat vor knapp zwei Jahren zum ersten Mal mit dem Land einen Staatsvertrag geschlossen. Die Verhandlungen verliefen hier zügiger. Grund: Die Haushaltsnöte waren noch nicht so offensichtlich. Auch ging es um wesentlich weniger Geld: 9,8 Millionen Mark bekommt die Jüdische Gemeinde vom Land an Zuschüssen. Außerdem stehe man in der ethischen Pflicht, der Verfolgung und Ermordung von sechs Millionen Juden in der Zeit des Nationalsozialismus Rechnung zu tragen. „Hier kann das Land nicht knausrig sein“, sagt Verhandlungsführer Becker.

Haushaltsnöte und der Koalitionsstreit um die christliche Erziehung unserer Kinder machen die Verhandlungen mit den großen Kirchen äußerst schwierig: Zwei neuralgische Punkte scheiden derzeit die staatlichen und kirchlichen Geister: Wie viele Millionen sollen es künftig sein? Und – wird der Religionsunterricht unter staatliche Obhut gestellt und zum ordentlichen Lernfach an den Berliner Schulen? „Es muß schon sehr gut laufen, um noch in dieser Legislaturperiode alles über die Bühne zu bekommen“, meint der Verhandlungsführer von der Senatskulturverwaltung, unter deren Ägide die Verhandlungen zusammenlaufen.