■ Klaus Traube über den Atomwaffensperrvertrag
: Vom Mythos der friedlichen Nutzung

Der auf Betreiben der USA und der Sowjetunion 1970 in Kraft getretene Atomwaffensperrvertrag, über dessen Verlängerung derzeit in New York verhandelt wird, verpflichtete die beigetretenen Staaten – mit Ausnahme der Atomwaffenmächte USA, Sowjetunion, China, Frankreich und Großbritannien –, zum Verzicht auf Entwicklung und Erwerb von Atomwaffen, sicherte ihnen dafür Unterstützung bei der zivilen Nutzung der Atomenergie zu. Da zivilgenutzte Spaltstoffe sich auch für Atomwaffen eignen, sieht der Vertrag vor, daß die Internationale Atomenergie-Organisation IAEO das Spaltstoffinventar kontrollieren darf.

Der Irak trat dem Sperrvertrag 1972 bei. 1980 schrieb der IAEO- Inspektor Richards dem US-Außenministerium, daß „der Atomwaffensperrvertrag die Wirkung hatte, den Irak beim Erwerb von nuklearer Technik zu unterstützen. Die Lieferländer haben die zahlreichen, offenkundigen und zwingenden Hinweise, daß der Irak ein Kernwaffenprogramm verfolgt, ignoriert.“ 1981 zerstörten israelische Bomben vor seiner Inbetriebnahme den von Frankreich gelieferten Hochflußreaktor „Osirak“ und damit das bedeutendste irakische Potential zur Herstellung des Bombenstoffs Plutonium 239. Seitdem verfolgte der Irak auch den zweiten Weg zur Atomwaffe, die Herstellung von hochangereichertem Uran 235. Im Golfkrieg 1991 wurden die irakischen Atomanlagen erneut bombardiert – angeblich kurz vor Fertigstellung der irakischen Bombe.

Nicht der Sperrvertrag, sondern die Luftangriffe haben irakische Atomwaffen bisher verhindert. Daß die Mitgliedschaft im Sperrvertrag den Weg zur Atombombe nicht versperren muß, zeigen auch die neueren Aktivitäten der USA zur Verhinderung der Fertigstellung von zivilen Atomkraftwerken in Nord-Korea und im Iran; diesen Sperrvertragsmitgliedern werden Atomwaffenambitionen nachgesagt. Anläßlich der Eröffnung der New Yorker Konferenz konstatierte Butros-Ghali, einige Mitgliedsländer hätten die „furchterregende“ Absicht, sich Material für Atomwaffen zu beschaffen.

Viele Staaten sind dem Vertrag nicht beigetreten, weil die offiziellen Atommächte das Recht auf Atomwaffen für sich reservieren. Dazu gehören Indien, Israel und Südafrika, die inzwischen „inoffiziell“ Atomwaffen hergestellt haben, ferner die „Schwellenländer“ Pakistan, Argentinien und Brasilien, die weitgehende Fähigkeiten zur Herstellung von Atomwaffen entwickelten.

Den Auftrag zur Lieferung der Ausrüstungen für ein großangelegtes, ziviles brasilianisches Atomprogramm gewann 1975 die Siemens-Tochter KWU gegen amerikanische Konkurrenten – weil Deutschland, im Gegensatz zu den USA, nicht auf einer umfassenden Kontrolle aller brasilianischen Atomanlagen gemäß dem Sperrvertrag bestand. Schon damals wußten auch deutsche Insider, daß Brasilien im Wettlauf mit Argentinien ein geheimes Atomwaffenprogramm verfolgte, was die inzwischen demokratisierte brasilianische Regierung 1990 eingestand. Siemens gewann 1979 auch einen argentinischen Atomkraftwerksauftrag gegen kanadische Konkurrenz – wiederum wegen deutscher Großzügigkeit hinsichtlich internationaler Kontrollen.

Ob in Argentinien und Brasilien oder im Irak, in Indien, Pakistan, Südafrika, überall durchkreuzten staatlich unterstützte Lieferinteressen der Atomindustrie einiger Industrieländer das existentielle Anliegen, die Weiterverbreitung von Atomwaffen zu verhindern. Und dies wurde mit frommem Augenschlag als Beitrag zur friedlichen Nutzung der Atomenergie verkauft, deren Verbreitung ja selbst im Sperrvertrag als erstrebenswert verankert ist. Doch mit der Verbreitung der „friedlichen“ Atomenergie ist die Verbreitung einer militärisch nutzbaren Infrastruktur unauflöslich verknüpft: Das ist der Geburtsfehler im Sperrvertrag. Der Vertrag kann die Weiterverbreitung von Atomwaffen verzögern, aber nicht verhindern, solange er nicht auf die Abschaffung aller Atomwaffen und aller Anlagen, die Uran anreichern und Plutonium erzeugen, mithin auch aller Atomkraftwerke, zielt.

Der aufwendige Weg zur Atomwaffe, zunächst eine Infrastruktur zur Erzeugung von Spaltmaterial aufzubauen, ist nur für potente Staaten gangbar. Der Chef der Europäischen Bank für Wiederaufbau, Jaques Attali, warnte jetzt in einer für die New Yorker Konferenz erstellten Studie vor der Gefahr, daß als Folge illegalen Handels mit Atommaterial nicht nur Staaten, sondern auch Terroristen, Mafia-Organisationen oder Sekten sich Atomwaffen beschaffen können. Das Bundeskriminalamt registrierte 1994 weltweit 267 Fälle illegalen Handels mit Atommaterial. Allein in Deutschland wurde 1994 in drei Fällen waffenfähiges Spaltmaterial sichergestellt, darunter jene 363 Gramm Plutonium, die nun wegen Fingerei der Geheimdienste für Skandal sorgen.

Zudem besteht die Gefahr der Zerstörung von Atomkraftwerken durch kriegerische Einwirkungen oder terroristische Sabotage, die zu Katastrophen wie der von Tschernobyl führen würde. Dort, wo Atomkraftwerke betrieben werden, gab es bisher glücklicherweise weder Krieg noch Bürgerkrieg. Wie sicher wären Atomkraftwerke, stünden sie in Bosnien, Tschetschenien, Algerien?

Carl Friedrich von Weizsäcker, einst einer der Pioniere der Atomtechnologie und lange Zeit ihr gewichtiger Befürworter, distanzierte sich von ihr 1985 mit den Fragen: „Wie muß der Umgang mit Plutonium in einer Gesellschaft gesichert sein, in der es Terrorismus gibt? Hat man jemals ernsthaft den Schutz von Kernenergieanlagen gegen Kriegseinwirkungen durchdacht? Und wer ist leichtfertig genug zu glauben, dort wo ein Reaktor, eine Wiederaufbereitungsanlage oder eine Endlagerung steht, werde nie mehr ein Krieg stattfinden?“

Auf dieser leichtfertigen Annahme beruhen freilich die Zahlenspiele um die Wahrscheinlichkeit katastrophalen Versagens, mit denen die Atomgemeinde eine quasi absolute Sicherheit zukünftiger, sicherheitstechnisch verbesserter Atomkraftwerke suggeriert; Krieg, Sabotage werden im Kleingedruckten ausgeschlossen.

Die so konstruierte Vision von Zukunftsreaktoren wird weitgehend als bare Münze akzeptiert, so auch bei Verhandlungen zum Energiekonsens. Es ist der internationalen Atomgemeinde gelungen, das Bild einer zivilen Atomtechnik zu verbreiten, der zwar spezifische Risiken anhaften, die aber mit kriegerischer Gewalt, mit Bürgerkrieg und Terror nichts zu tun hat.

Ehemaliger Atommanager, der in den 70ern zum vehementen Kritiker von Atomenergie und Großtechnologie wurde; Opfer eines „Lauschangriffs“ des Verfassungsschutzes 1975/76 wegen angeblicher Verbindungen zu Terroristen – ein Vorwurf, der sich als unhaltbar erwies und für heftige Debatten sorgte; heute Direktor des Bremer Instituts für kommunale Energiewirtschaft und -politik