Nachschlag

■ Strapsharry feierte seinen 88. in Berlins gräßlichster Disco

Der älteste amtierende Transvestit kann kaum gerade stehen und fand die Zeit gekommen, seine Fangemeinde geburtstagshalber zum Betriebsausflug in Berlins geschmackloseste Disco zu dekretieren. Katastrophal wenige Sonntagsausflügler, undercoverschwule Angestellte und Hausfrauen aus Neukölln, hockten sich auf die Barhocker der Magic-Balloon-Rotunde und ließen sich von Playboy-Häschen den Frühlingsschweiß nehmen. Um auch ja jedem Gast ein Gefühl von VIP zu vermitteln, geleitete Strapsharry (bürgerlicher Name Harry Toste) die spärliche Schar an reservierte Tische. 88 Jahre alt wurde der Transvestit, und es spricht einiges dafür, daß er die biologisch bedingten Hautunebenheiten durchs Outfit wettzumachen sucht. Die nicht vorhandene Brust hatte er in ein ärmelloses T-Shirt gequetscht, darauf sein Namenszug, als könnte man ihn verwechseln. Passend zu den Plastikpalmen hatte sich Strapsharry für Tennisshorts entschieden, drei Nummern zu klein. Jeder noch so kleine Schritt gab so den Blick frei auf 88 Jahre alte Pobacken. Das schüttere Haupthaar trug der allseits tolerierte Verkleidungsfetischist schulterlang, und es fluoreszierte grüngelb – die Frau im Mann sieht darin eine „Persiflage auf die langweilige Herrenmode“.

Zum Ständchen erschienen war auch Berlins zweitältester Transvestit, Charlotte von Mahlsdorf. Temperaturbedingt im kurzärmeligen Einteiler, großzügig bedruckt mit Gartengeblüm. Auf absatzentschärften Pumps zierte sie ein Fest, das gar keines war, denn Seligkeit läßt sich nicht ersingen mit „Jetzt geht die Party erst richtig los“. Zu kämpfen hatte auch „Lottchen“, denn statt Johannisbeersaft bekam sie einen aus Pfirsichen, und zu allem Unglück fiel ihr im Discodunkel das Pillendöschen zu Boden. Das wiederum aktivierte einen Verehrer zu bedingungsloser Hilfe und der besorgten Frage: „Müssen Sie wirklich nach Schweden gehen?“ Eine halbe Stunde verspätet schlich Straps- Harry auf die Tanzfläche, zwei Gäste wagten einen Applaus. Klebrige Operettenmusik ertönte, und Strapsharry formulierte höchst asynchron den Refrain nach. Dabei drehte er sich, zusammen mit einem Mann im Frack, und es muß ihm dabei so schwindelig geworden sein, daß er für Momente die Orientierung verlor. Das paßte so gar nicht zur Walzerrobe des Strapsharry, in der viel Arbeit steckt. Viele Falten, viele Farben, und ein Reifrock, der dem mageren Geburtstagskind Volumen verleiht, wo gar keins existiert.

Im Magic Ballroom, das heißt im Kurhaus zu Travemünde, knirschte der Ton, und eine Moderatorin namens „Ich bin die Tina“ kitzelte ergebnislos das müde Publikum mit Begeisterungsbefehlen: „Feuer! Energie!“ Heimlich zur Halbzeit gingen zwei, einer davon war ich. Sorry, Harry. Thorsten Schmitz