Tatmotiv Verzweiflung

■ 45jähriger Brandstifter zu lebenslanger Haft verurteilt / Bei Brand in Kreuzberg waren 1994 drei Menschen umgekommen

Ein 45jähriger Automechaniker ist gestern wegen besonders schwerer Brandstiftung und Mordes zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt worden. Bei einem der drei Brände, die ihm zur Last gelegt wurden, kamen am 2. März 1994 ein 35jähriger Vater und sein fünfjähriger Sohn ums Leben, als sie sich durch einen Sprung aus dem Fenster vor den Flammen retten wollten. Die dreijährige Tochter starb in der brennenden Wohnung; nur die 30jährige Ehefrau überlebte.

Die 23. Große Strafkammer des Landgerichts sah als erwiesen an, daß der Mann nach Mitternacht ein Benzin-Diesel-Gemisch vor der Wohnungstür der Familie im zweiten Stock entzündet hatte. Der Verurteilte selbst wohnte im Hinterhaus der Urbanstraße 35. Als Tatmotiv nannte das Gericht „Verzweiflung“. Der Mann habe als depressiver Mensch seine Umwelt für seine freudlose Stimmung verantwortlich gemacht, sagte der Vorsitzende Richter Theodor Seidel.

Auch die Anwälte des Verurteilten, Markus Maul und Klaus Kiewe, beschrieben ihren Mandanten als „vereinsamt“ und „resigniert“. Zu den betroffenen Mietern habe keinerlei Kontakt bestanden. In seinem Geständnis, das er später widerrief, hatte er erklärt, daß er sich die Wohnungen willkürlich ausgesucht hätte.

Das nervenärztliche Gutachten ging von einer verminderten Schuldfähigkeit aus, weil der Mann in seinem Geständnis angegeben hatte, zur Tatzeit betrunken gewesen zu sein. Weil das Urteil die strafmildernden Umstände zu wenig berücksichtige, wird die Verteidigung in die Revision gehen. Die Verteidigung hatte auf Freispruch plädiert, weil ihr Mandant die Tat nach wie vor bestreitet. Der Automechaniker konnte überführt werden, weil in seiner Wohnung und seiner Werkstatt eine äußerst seltene Benzinsorte gefunden wurde, die bei den drei Bränden verwendet worden war.

Den ersten Brand hatte der Verurteilte am 1. Juli 1993 im gleichen Gebäude vor einer Einzimmerwohnung gelegt. Die Mieterin brach sich beide Beine, als sie auf der Flucht vor den Flammen an einer Regenrinne herunterrutschte. Die 43jährige lag mit schweren Brüchen 16 Wochen im Krankenhaus. Am 24. Oktober 1993 legte der Verurteilte einen Brand im vierten Stock. Der aus dem Schlaf aufgeschreckte Mieter wurde mit schweren Verbrennungen gerettet.

Obwohl der Verurteilte bei seiner polizeilichen Vernehmung erklärt hatte, er habe sich keine Gedanken darüber gemacht, daß jemand zu Tode kommen könnte, ging das Gericht bei dem dritten Brand von einem Tötungsvorsatz aus. Denn hierbei habe der Angeklagte eine größere Menge Brandbeschleuniger angewendet als bei den ersten beiden Malen. Ihm sei klar gewesen, daß sich die im Schlaf überraschten Menschen nicht mehr hätten retten können.

Es handelt sich um die erste lebenslange Haftstrafe für einen Brandstifter seit fünf Jahren. win