In Bosnien bedeutet Befreiung Zukunft – vielleicht

■ Der Jahrestag der Befreiung von der deutschen Besatzung wird in den Republiken Ex-Jugoslawiens je nach politischer Opportunität instrumentalisiert

In einem Krieg, der sich immer noch der Symbole der Vergangenheit bedient und künstlich Wunden wiederaufreißt, nimmt die fünfzigste Wiederkehr der Befreiung vom Hitlerfaschismus alle Schattierungen des Widerspruchs an: Jede Instrumentalisierung ist möglich, jede Umkehrung der Geschichte wird glaubhaft in jenen Gebieten, die einst das Jugoslawien des Marschalls Tito waren.

Für den 15. Mai, den historische Befreiungstag, wurden in Belgrad Erinnerungsfeuern angesetzt. „Wir erwarten keine Militärparaden, doch das Regime wird sicherlich etwas organisieren“, sagt Milos Vasic, Chefredakteur der unabhängigen Tageszeitung Vreme. „Ansonsten ist der Antifaschismus in Serbien wieder Mode geworden. Es gibt eine Art rote Bewegung, die von den alten Apparatschiks der Liga der Kommunisten organisiert wird.“ In vorderster Linie steht da Mirjana Marković, die Frau von Präsident Milošević; sie gehört zur Führungsspitze einer Bewegung, die sich marxistisch nennt und Beamte des Regimes und Geschäftsleute um sich versammelt. Das Ziel ist eine „Reinigung“ vom bisher nationalistischen Image der Regierung und eine Abwehr des Vorwurfs eines neuen Faschismus – nicht zuletzt, um die Aufhebung der Wirtschaftssanktionen zu erreichen. Höhepunkt dieser Aktion ist das Versprechen einer Intervention und einer Vermittlung gegenüber den bosnischen Serben, die Milošević seit Monaten ankündigt, ohne sie zu realisieren. „Paradox, wie sich in den letzten Monaten das Verhalten des Regimes gegenüber Radovan Karadžić geändert hat“, sagt Vasic. „Nun muß der sich als Antifaschist und Antinationalist aufführen. Gerade er, der im Namen des Nationalismus und des Faschismus sämtliche Erinnerungsstätten an die Widerstandskämpfer in Bosnien zerstört hat.“

Die symbolische Bedeutung dieses Jahrestages ist in den verschiedenen Republiken Ex-Jugoslawiens um so stärker, je umstrittener er jeweils ist. Obwohl der antifaschistische Kampf eines der verbindenden Elemente für die Vereinigung des Landes war, hat jede Region ihn seinerzeit auf jeweils spezifische Weise erlebt. Und entdeckt jetzt, 50 Jahre danach, ganz unterschiedliche Wurzeln für ihn. So hatte der slowenische Widerstand ausgesprochen pluralistischen Charakter, was dem Land heute Anlaß ist, sich stolz zur „fortschrittlichsten“ Republik des Balkans zu proklamieren. Dagegen hat die Kollaboration der Ustascha mit den Nazis das Bild der nationalen Identität Kroatiens bis heute verdüstert. Die Makedonier bringen ihr Partisanentum heute als Fundament für die Forderung nach nationaler Autonomie ein.

Die stärkste symbolische Bedeutung erhält dieser Tag derzeit zweifellos in Bosnien: Hier haben die Ustaschas mehr Serben ermordert als in allen anderen Regionen, hier waren die Repressalien der Partisanen stärker als anderswo. Hier hat sich auch der harte Kern der Vereinigungsbewegung gebildet, der zu einem zweiten Jugoslawien führen soll. Und hier haben die Bilder Titos in den primitiven Küchen ohne Licht und Gas überlebt. Hier, in Bosnien, bedeutet Befreiung nicht Vergangenheit, sondern Zukunft. Vielleicht jedenfalls. Raffaella Menichini

Die Autorin ist Auslandschefin und Sonderkorrespondentin von „il manifesto“