■ Die Anschläge auf Bahnstrecken und den Castor-Transport
: Sabotage von zwei Seiten

Gestern morgen haben Unbekannte die möglichen Transportrouten des Castor-Behälters gestört. Lokomotiven fuhren in Wurfanker, die von den Oberleitungen herabhingen und rissen mit ihren Stromabnehmern die Kabel herunter. Die Deutsche Bahn AG sprach von „terroristischen Anschlägen, die auf ekelerregende Weise Leib und Leben von Unschuldigen gefährden“. Ekelerregend ist die Castor-Prozedur vor allem für jene, die etwas von demokratischer Mitbestimmung und mündigen Bürgern halten. Seit Jahren lavieren Landesregierungen, Bundesregierung und die Atomindustrie mit der Atomkraft als politischer Handlungsmasse. Interesse der Atomindustrie und ihrer Büttel ist, möglichst viel Gras über Tschernobyl wachsen zu lassen. Die Anti-Atom-Bewegung versucht genauso beharrlich, die Sonntagsversprechungen der Politiker, vor allem der SPD, über den Stopp der bestehenden Atomkraftwerke einzufordern.

Wenn nun genau an dem Tag, an dem in Bonn SPD und Regierungskoalition in „Konsens-Gesprächen“ über die Atomenergie verhandeln, der Castor in Marsch gesetzt wird, so ist das ein Signal. Ein Signal, daß gute Argumente und zahllose mehr oder weniger gewaltfreie Demonstrationen nichts genützt haben. Die Bundesregierung fordert, daß sich die betroffenen Bürger schon dreinfinden müssen, ein Atomklo wie in Gorleben vor ihrer Tür zu dulden, ohne zu wissen, was und wieviel eigentlich dort eingelagert wird. Damit nimmt sie in Kauf, daß der Frust über die laute, aber friedliche Mitbestimmung wächst. Und daß einige, die die Faxen dicke haben, zu härteren Mitteln wie Sabotageaktionen auf den Bahnstrecken greifen, wird ebenso mit ins politische Kalkül einbezogen.

Hier beginnt die Gratwanderung der Anti-Atom- Bewegung: Gegen Betonköpfe helfen Demos und flotte Sprüche wenig. Also härter rangehen? Phantasievolle, öffentlich angekündigte Schienenbegehungen wie die Osteraktion „Unterm Schotter liegt der Dotter“ am Dannenberger Bahnhof gehen in diese Richtung. Sie beschädigen zwar Eigentum der Bahn AG, gefährden aber niemanden und gehen direkt gegen den Castor. Sie sind für Juristen ein Greuel, für jeden Wohlmeinenden aber nachvollziehbar. Wenn jedoch der Berufsverkehr im Rhein-Main-Gebiet eine Stunde lahmliegt oder wie vor zwei Wochen nachts auf freier Strecke ein Stück Schiene herausgesägt wird, kann die Stimmung in der Bevölkerung zur Atomenergie kippen – gegen die Anti-Atom-Bewegung nämlich. Ob die Aktionisten gute Argumente haben, oder nur die vielbeschrieenen Chaoten durchs Land ziehen, interessiert dabei keinen. Denn die SPD wartet schon lange darauf, billig aus ihrem Atomausstiegs-Versprechen herauszukommen. Reiner Metzger