Filmemacher laufenlassen?

Vor 45 Jahren wurde Veit Harlan, oberster Spielfilmregisseur des Naziregimes, vom Hamburger Richter Walter Tyrolf freigesprochen / Inzwischen weiß man mehr über Herrn Tyrolf  ■ Von Michael Marek

Als der Krieg zu Ende war, setzte sich Veit Harlan, erster Spielfilmregisseur des Nationalsozialismus, in Richtung Hamburg ab. Er wollte so schnell wie möglich zurück ins Filmgeschäft. Als Vertreter des Schaugewerbes im Dritten Reich brauchte er dafür aber zunächst eine sogenannte Unbedenklichkeitserklärung. Nach dem alliierten Kontrollratsgesetz in die Gruppe 5 eingestuft, das heißt „politisch unbelastet“. Der Öffentlichkeit bleibt dieser Skandal nicht verborgen. Immerhin war es Harlan gewesen, der 1940 mit „Jud Süß“ einen der zentralen antisemitischen Hetzfilme gedreht hatte; von seinen Todesorgien „Opfergang“ oder „Die Goldene Stadt“ und dem Durchhalteepos „Kolberg“ ganz zu schweigen.

Kein Konnex zwischen Film und Vernichtung

Es kam zum Hamburger Schwurgerichtsprozeß. Das Publikum war Pro-Harlan, jüdische Zeugen wurden beschimpft und konnten nur unter Polizeischutz den Gerichtssaal verlassen. Ralph Giordano, damals Berichterstatter für die Jüdische Allgemeine, beschreibt die eigenartige Atmosphäre während der Verhandlung: „Was offensichtlich war an dem Verhalten des Publikums, war die totale innere Beziehungslosigkeit zur Welt der Nazi-Opfer. Die Opfer, die sich schließlich auch durch diese Filme ergeben hatten, spielten in der ganzen Verhandlung überhaupt keine Rolle. Der Konnex zwischen ,Jud Süß‘ und dem Holocaust ist überhaupt nicht gezogen worden.“

Harlan selbst behauptete vor Gericht, er habe den Film nicht drehen wollen und sei von Goebbels quasi zwangsverpflichtet worden. Doch Harlan mußte zugeben, in polnischen Ghettos jüdische Komparsen ausgesucht zu haben – und das in Zusammenarbeit mit dem Reichssicherheitshauptamt Adolf Eichmanns.

Vor Gericht betonte er, nur untergeordnet tätig gewesen zu sein. Er leugnete nicht, an der Planung und Durchführung des Films „Jud Süß“ mitgewirkt zu haben. Er hielt sich jedoch im Sinne der Anklage für nicht schuldig, die ihm die Gesamtverantwortung unterstellte. Nach 52 Tagen und zahllosen Zeugenvernehmungen wurde am 23. April 1949 das Urteil gesprochen: Freispruch für Veit Harlan. Ein Medienereignis.

Wie aber hätte das Hamburger Schwurgericht die Verbrechen des Filmregisseurs Veit Harlan im Vergleich zu denen eines Heinrich Himmler oder Adolf Eichmann bewerten sollen? Alle Prozeßbeteiligten sahen sich mit einem neuen Täterkreis konfrontiert: den Künstlern und Intellektuellen der Nazi-Diktatur. Harlan war keineswegs der dämonische Verbrecher, für den ihn Teile der Öffentlichkeit hielten. Und er war nie Mitglied der NSDAP gewesen, obwohl er sich 1933 öffentlich zum Nationalsozialismus bekannt hatte. Aber war er deshalb unschuldig? Der Hamburger Filmkritiker und Staatsanwalt Dietrich Kuhlbrodt meint dazu: „Nach dem damaligen Kontrollratsgesetz hätte man Veit Harlan verurteilen müssen, wobei eine ganz große Ungerechtigkeit darin bestand, daß man ihn sich alleine herausgesucht hatte. Aber was war mit all den anderen Regisseuren, die auch antisemitische Filme gedreht haben; was mit den Ministerialbeamten, die für die Filme verantwortlich waren? Rückblickend gesehen war der Prozeß gegen Veit Harlan eine Alibiveranstaltung. Man hat alles auf ihn abgeschoben, die ganze Schuld auf ihn konzentriert und gesagt: ,Wir haben den Täter.‘“ Harlan blieb der einzige Künstler des Dritten Reiches, der sich für seine Vergangenheit juristisch zu verantworten hatte. Der Freispruch für ihn wurde am 29. April 1950 im Revisionsprozeß sogar mit dem Zusatz bestätigt, Harlan habe die Arbeit an „Jud Süß“ aus einem Befehlsnotstand heraus begonnen – ein exemplarisches Urteil in der deutschen Nachkriegsjustiz.

Furchtbarer Hamburger Jurist

Ende der fünfziger Jahre wurde dann bekannt, daß Walter Tyrolf, der vorsitzende Richter in beiden Harlan-Prozessen, während der NS-Zeit Staatsanwalt am Sondergericht Hamburg war und in mindestens zwei Bagatellfällen für die Todesstrafe plädiert hatte. Hans Konrad Stein-Stegemann, Mitarbeiter am Forschungsprojekt zur Hamburger Justizgeschichte, hat nun herausgefunden, daß Tyrolf mindestens 20mal die Todesstrafe beantragt hatte, beispielsweise als jemand kurz nach einem Bombenangriff Sachen aus einem zerstörten Haus mitgenommen hatte. „Die Todesstrafe war dann gesetzmäßig vorgeschrieben und insofern ein Automatismus. Man kann Leuten, die an solchen Todesurteilen mitwirkten, nicht einfach Rechtsbeugung oder ähnliches vorwerfen. Man kann ihnen vorwerfen, daß sie überhaupt einen solchen Posten eingenommen haben. Sie hätten sich ohne Probleme und ohne berufliche Nachteile versetzen lassen können, in die Ziviljustiz etwa. Solche Versetzungsanträge gibt es.“

Walter Tyrolf aber hatte nie einen solchen Versetzungsantrag gestellt. Das gegen Tyrolf eingeleitete Ermittlungsverfahren wurde bald wieder eingestellt.