Unter die Lupe genommen

■ betr.: „Deutschland im Krieg“, taz vom 18. 4. 95

Die Verschwommenheit des Duve-Textes macht es notwendig, das Gesagte und das Nicht-Gesagte unter die Lupe zu nehmen:

Freimut Duve bezeichnet die Haltung der türkischen Regierung zu einer politischen Lösung des Kurdenproblems mit den Worten: „die Chance scheint der türkischen Führung vollständig entglitten“, als sei diese Chance selbsttätig davongeschwommen. In Wirklichkeit ist nicht die geringste Neigung in dieser Richtung festzustellen. Jede Bemühung um friedliche Regelung, ja sogar die bloße Benennung des Problems, werden als Straftat verfolgt. Waffenstillstandsangebote, sogar ein monatelang durchgehaltener einseitiger Waffenstillstand der PKK werden nicht zur Kenntnis genommen.

Daß Duve das Wort „Terror“ nur im Zusammenhang mit der PKK benutzt, ohne auf Entsprechungen zwischen Staats- und Widerstandsaktivitäten hinzuweisen, mag diplomatischer Gepflogenheit entsprechen. Wenn aber die Zerstörung von mindesten 2.000 kurdischen Dörfern und die Vertreibung ihrer Bewohner, soweit sie den Massakern entkommen sind, mit dem Wort „umgesiedelt“ bezeichnet wird, stellen Bedenken sich ein, auch wenn das Verb in Anführungszeichen steht und von „militärischem Zwang“ begleitet ist.

„Die Verurteilung von Washington bis Bonn ist eindeutig“, schreibt Duve. Davon kann wohl nicht die Rede sein. Bis zum Geht- nicht-mehr hat Kinkel die ständige Verletzung der Menschenrechte im Krieg des türkischen Militärs gegen die Kurden geleugnet, obwohl es genügend Informationen von Menschenrechtsgruppen, ai und UNO darüber gab. Für den türkischen Einmarsch in den Irak zeigte Washington „Verständnis“. Das türkische Militär profitierte nicht nur von deutschen Waffen, sondern auch von der Nato-Aufklärung. Kinkels verspätetes Gejammer über den Einsatz deutscher Waffen ist absurd, weil das AA längst darüber Bescheid weiß und offenbar einverstanden ist. Eindeutige Verurteilung?

Beim Hinweis auf die freiheitliche Verfassung der Türkei „vergißt“ Duve, daß die 1991 nachgeschobenen „Anti-Terror-Gesetze“ diese Freiheiten, jedenfalls was die Kurden betrifft, praktisch zurücknehmen. Statt „Freiheit der Meinungsäußerung“ Verhinderung der Berichterstattung, Verbot prokurdischer Zeitungen, Verfolgung, Inhaftierung, Folterung, Tötung von Mitarbeitern, Verbot prokurdischer Parteien, Inhaftierung und Verurteilung ihrer Vertreter im Parlament...

[...] Duve schließt mit der Empfehlung, Solidarität mit den Opfern beider Seiten zu üben. Unterschwellig läuft noch eine andere Botschaft mit: Deutsche, die sich in der Kurdenfrage engagieren, gehören in die „völkische“ Ecke. Dabei „vergißt“ er zu bemerken, daß das (in Holland!) neugegründete kurdische Parlament als Ziel der angestrebten Verhandlungen eben nicht den autonomen Kurdenstaat nannte, sondern eine föderale Ordnung, ähnlich der in Belgien. [...] Ruth Rehmann, Trostberg