Eine Affenschande

Wie Wissenschaftler und „Spiegel“-Journalisten sich zum Affen machen: Theorien von genetisch bedingter männlicher Untreue haben Konjunktur  ■ Von Ute Scheub

Wer sich zum Supermann stilisieren möchte, macht sich dabei zum Affen. Das zeigt sich bei jenen Sexualwissenschaftlern, Genforschern und Biologen, die in den letzten drei Jahren verstärkt zu belegen versuchen, daß die männliche Vorherrschaft die natürliche ist. Um zu beweisen, daß die Untreue von Männern und die Unterwerfung von Frauen in unseren Genen vorgegeben sei, verwischen und verleugnen sie in der Darstellung ihrer Forschungsergebnisse systematisch jeden Unterschied zwischen Menschen und Affen. Die Wissenschaftler und ihre journalistischen Sprachrohre, die solcherart Theorien propagieren – wie in der vorletzten Spiegel-Titelgeschichte geschehen –, geraten dabei in folgendes Dilemma: Wenn ihre Theorie stimmt, sind sie biologische Halbaffen. Wenn ihre Theorie nicht stimmt, sind sie erkenntnisunfähige Halbaffen.

Der neue Trend kommt aus den USA. „Biologie, Biologie, Biologie“, schimpfte die Washington Post schon vor einer Weile, „kaum eine Woche, in der nicht von Forschern berichtet wird, die sich an die Stirn schlagen und ausrufen, Whow! Alles falsch, was wir bisher dachten! Es sind einfach die Gene!“ Es sind aber oft nur deshalb die Gene, weil die großen Vereinfacher es so haben wollen. Denn mit Genforschung kann mann nicht nur das Patriarchat verteidigen, sondern auch viel Geld verdienen. Für die nicht zufällig viel feministischer orientierte Geschlechterforschung gilt das nicht.

Was haben diese Wissenschaftler fast ausschließlich männlicher Spezies nun alles herausgefunden? Dem sogenannten „Bateman-Paradigma“ mag man oder frau ja noch folgen. Danach ergibt sich für die beiden Geschlechter im Tierreich eine unterschiedliche Fortpflanzungsstrategie: Das Männchen zeugt möglichst viele Nachkommen, indem es seinen Samen so weit wie möglich streut. Das Weibchen aber produziert möglichst wenig, dafür aber möglichst lebensfähigen Nachwuchs, weil Schwangerschaft, Brutpflege und Aufzucht ungleich mehr Kraftaufwand verlangen. Bei der Partnerwahl ist das Männchen eher wahllos, das Weibchen eher wählerisch.

Die Wissenschaftler versuchen nun zu beweisen, daß das auch für den Homo sapiens gilt, indem sie in ihrer Beschreibung jede Festlegung auf Mensch oder Tier vermeiden. Mal verwenden sie das Wort „Männchen“, mal „Mann“. So wie der Evolutionsbiologe Christian Vogel. „Da Männchen durch Vielfachpaarung mit möglichst vielen Weibchen ihren Reproduktionserfolg ganz erheblich steigern können, hat die natürliche Selektion sie automatisch auf eine stärkere Neigung zu häufigen Geschlechtspartnerwechseln programmiert als die Weibchen“, schreibt der Göttinger Wissenschaftler. Aufgrund dieses Programms sei das weibliche Geschlecht eher „spröde-zurückhaltend, wählerisch und pflegerisch veranlagt“ und das männliche „durchsetzungsfähiger, aggressiver, risikobereiter“.

Ein weiterer wichtiger Geschlechtsunterschied besteht laut Vogel darin, daß „jedes Weibchen absolut sicher sein kann, daß sie selbst die genetische Mutter jedes von ihr geborenen Kindes ist“. Weil das bei den Männchen nicht der Fall sei, „sollten“ sie „besonders darauf bedacht sein, ihre Sexualpartnerinnen zumindest in den entscheidenen konzeptionsfähigen Phasen möglichst sorgfältig zu überwachen und – wenn möglich – gegenüber anderen Männchen zu monopolisieren“. „Sollten sie besonders bedacht sein“ – ein kollegialer Rat an die Geschlechtsgenossen mitten in einer wissenschaftlichen Abhandlung. Die Kontrolle, rät er weiter, sollte „um so intensiver“ sein, „je mehr sie selbst in die Aufzucht der Kinder „ihrer“ Partnerinnen zu investieren haben.“

Ganz ähnlich der Autor der Spiegel-Titelgeschichte „Urknall der Hormone“: Männchen, so schreibt er, seien viel eifersüchtiger als Weibchen, weil sie fürchteten, daß ihnen ein Kuckucksei ins Nest gelegt werde. Weibchen hingegen fürchteten, daß sie mit ihrer Brut allein gelassen würden und tolerierten deshalb die Vielweiberei ihres Partners. „Die biologischen Wurzeln der Toleranz gegenüber ,Seitensprüngen‘ bei Männern, nicht aber bei Frauen sind unübersehbar“, zitiert der Autor den Berliner Verhaltensbiologen Günter Tembrock als Kronzeugen.

Auch der Spiegel versucht uns beizubringen, daß der Unterschied zwischen Menschen und Affen vernachlässigenswert sei: „Mit den Schimpansen hat der Homo sapiens 98,4 Prozent aller Gene gemeinsam“. 30.000 Jahre Zivilisationsgeschichte des Homo sapiens, die Grundlage der Willensfreiheit des Menschen und der enormen Variationsbreite menschlicher Umgangsformen, sollen hier mit affenartiger Geschwindigkeit abgeschafft werden.

Der große Nachteil dieser biologistischen Theorien: Sie ergeben nur dann eine gewisse Stimmigkeit, wenn sie im Niemandsland zwischen Menschen- und Tierreich belassen werden. Wenn wir ihren Wahrheitsgehalt anhand einer Spezies überprüfen, können wir sehr schnell feststellen, daß wir hier wenig Gehirnschmalz und viel geronnenes Sperma unter der Lupe finden. Denn ein Affe kennt keine Furcht vor falscher Vaterschaft, weil er auch von richtiger Vaterschaft nichts weiß – oder haben die Forscher heimlich einen Affen in den Biologieunterricht der Oberstufe geschickt? Wenn indes nur Menschenmänner Angst vor „untergeschobenen“ Kindern haben, dann kann diese nicht in ihrem genetischen Primatenerbe begründet liegen. Und: Ein eifersüchtiger Mann, der seine Frau kontrolliert, unterwirft, wegsperrt, verhüllt, verprügelt, mag menschlich gesehen ein Halbaffe sein. Biologisch ist er es nicht – kein Tier behandelt seinesgleichen so schlecht, kein Affe würde seine Äffin derart unterdrücken. Schon deswegen nicht, weil das seine „Reproduktionschancen“ erheblich mindern würde.

Frau könnte hier nun spekulieren, welches Gen bei männlichen Biologen dafür sorgt, daß sie nicht logisch denken können. Womöglich ist dieses „falsche Denken“ aber auch billige Absicht, um teure Gen-Forschungsprogramme finanziert zu bekommen. Wie der Teufel das Weihwasser scheut diese Sorte Wissenschaftler deshalb jede Andeutung der Tatsache, daß Gene und Hormone nur einen kleinen Teil unseres Verhaltens zu steuern vermögen. „Biologisch“, „genetisch“ oder „hormonell“ erklärbar ist zwar das weibliche Stimmungshoch während der Schwangerschaft, aber weder das Matriarchat noch das Patriarchat.

„Biologisch“ erklärbar ist indes vielleicht auch die Spiegel- Schreibe: Hat der Autor heimlich Testosteron beim Schreiben geschluckt? Hat der „Urknall der Hormone“ in Wirklichkeit in seinem Hirn stattgefunden? Denn den „Urknall“ sieht der Autor nun gerade nicht, wie eigentlich zu vermuten wäre, in der Zeugung eines Menschen, denn während der ersten 35 Tage ihrer Existenz sind alle Menschen weiblich. Der „Urknall“, sagt er, finde bei einem Embryo in dem Moment statt, wo das sogenannte SRY-Gen „die Weichen Richtung Mann“ stellt. Denn: „Es konstituiert den Mann wie der Urknall das Weltall.“ Merke: Der Mann ist Ursprung allen Seins, auch wenn er vorher weiblich war und von einem Weibe abstammt.

Warum bloß hat der Spiegel solche Affenkacke abgedruckt – um seinen Ruf als Zentralorgan des Vereins „Mehr Macht für deutsche Machos e.V.“ zu festigen?