Castor erhitzt die Debatten

■ Von Konsens keine Spur: Nach dem Atommülltransport bleiben die alten Konflikte in der Energiepolitik erhalten / Rexrodt sagt, er wisse nichts von unkalkulierbaren Gefahren der Atomenergie

Hannover/Bonn (taz) – Eine erste Bilanz des Castor-Transports: Entlang der Fahrtroute waren nach Angaben des niedersächsischen Innenministeriums 7.600 Beamte von Polizei und Bundesgrenzschutz beschäftigt, im restlichen Bundesgebiet waren es ungefähr noch mal 7.000. Und gestern beschäftigten sich über ein Dutzend Politiker mit dem Teil – zumindest verbal.

Die niedersächsischen Grünen sehen im Transport die „Inszenierung eines Bürgerkriegszustandes“: Mit dem riesigen Polizeiaufgebot habe die Landesregierung der Bevölkerung zeigen wollen, daß es keine Chance gebe, sich gegen Castor-Transporte zu wehren, sagte die Grünen-Abgeordnete Rebecca Harms.

Ministerpräsident Gerhard Schörder forderte im niedersächsischen Landtag erneut eine gerechtere Lastenverteilung bei der Atomüllentsorgung: Niedersachsen dürfe nicht einziger Endlager- Standort werden. Auch sein Innenminister Glogowski hofft noch auf die Konsensgespräche. Er rügte die „ansonsten friedlichen Bürger“, die zahlreiche Straftaten verübt hätten. Es gelte, deren Rechtsbewußtsein zu stärken – was aber nur durch einen Energiekonsens gelinge.

Nach seinen Angaben gab es bei den Protesten neben zahlreichen Ingewahrsahmnahmen auch 29 Festnahmen von Demonstranten – vier davon, weil sie Stahlseile über die Castor-Strecke gespannt haben sollen, 25 weitere, weil sie auf der Bahn Barrikaden angezündet und Schwellen zersägt haben sollen.

In der Energiedebatte im Bundestag warf Umweltministerin Angela Merkel SPD und den Bündnisgrünen vor, zu gewaltsamen Protest gegen den Castor ermutigt zu haben.

Der SPD-Abgeordnete Michael Müller konterte, seine Partei verurteile jede Form von Gewalt. Die Transporte seien aber eine ganz schlimme Provokation. Die Grünen-Abgeordnete Ursula Schönberger durfte erst mal gar nichts sagen. Sie mußte auf Drängen des Bundestagsvizepräsidenten Burkhard Hirsch (FDP) erst ihr T-Shirt mit der Aufschrift „Castor – Alarmtag X“ wechseln, bevor sie ans Redepult durfte. – Grobschlächtig wurde die Debatte, als Bundeswirtschaftsminister Günter Rexrodt (FDP) ans Mikrofon trat. Er forderte die SPD auf, einem „bedingten Ja zur Atomkraft“ zuzustimmen. Die öffentliche Meinung in Deutschland und der Welt stehe inzwischen klar auf seiten der Atomenergie. Diese sei äußerst sicher; trotz intensiven Studiums habe er bislang nichts über wirklich unkalkulierbare Gefahren von Atomkraftwerken gefunden, sagte Rexrodt. Jürgen Voges/Reiner Metzger