Schaumfrauen

Drucilla Cornell, amerikanische Juraprofessorin, dämonisiert die „Versuchung der Pornographie“  ■ Von Ina Hartwig

Noch vor der amerikanischen Originalausgabe erscheint dieser Tage im neugegründeten Berlin Verlag Drucilla Cornells Antwort auf Catharine A. MacKinnons Antipornopamphlet „Nur Worte“ (Fischer 1994). Nicht müde wird die Juraprofessorin Cornell zu betonen, daß sie keineswegs, wie die Juraprofessorin MacKinnon, die Pornographie für eine gewalttätige Handlung halte, so daß für sie nicht das Recht auf freie Rede (First Amendment) gelte. Obwohl Cornell sich immer wieder gegen die These von der Pornographie als Handlung abgrenzt, offeriert sie doch genau dasselbe Leitmotiv wie MacKinnon; ein Leitmotiv, das als Interpretation daherkommt, in Wahrheit aber Dichtung in der guten alten Tradition des Schauerromans ist, zeitgenössisch erweitert um Splatteringredienzien: Die „Frau als beherrschter, zerstückelter Körper“ werde im Porno „reduziert auf ein blutendes Loch“.

Diese Sprache spiegelt seltsam das inquisitorische Weltbild der Pornogegnerinnen wider. Daß Frauen in Pornos „vergewaltigt“ werden, was trotz sonst waltender juristischer Spitzfindigkeit nicht näher definiert wird, stellt auch Cornell – wie schon Andrea Dworkin, Alice Miller und Catharine MacKinnon – niemals in Frage. Die bekennende New Yorker Pornokonsumentin Sallie Tisdale weiß, daß dies die Auffassung konservativer Feministinnen ist, die selbst „wenig Pornos“ kennen (Lettre international 25/1994).

In Deutschland wurde die von Alice Schwarzer initiierte sogenannte PorNo-Debatte spätestens durch das Loch in der Berliner Mauer beendet (beziehungsweise ersetzt durch den Kindesmißbrauch-Diskurs); in den USA scheint die Demagogie erst richtig aufzublühen. Deren Basis ist nichts weniger als ein äußerst bedenklicher, gegen den – wie es jetzt politisch korrekt heißt – „heterosexuellen weißen Mann“ entbrannter Rassismus, der jenen als entfesselte Pornobestie stigmatisiert.

Wo keine Achtung ist, kann man da nur warnen, wird auch keine Achtung gedeihen. Daß die Juristin Cornell sophistisch zwischen dem „Phantasma“ der Pornographie und der „Realität“ der Pornographieherstellung zu unterscheiden versucht, nützt nicht viel. Die modifizierte Unterstellung lautet nun, Frauen würden während der Produktion von Pornographie sehr oft vergewaltigt und mißbraucht, weshalb – das ist Cornells brandheißer Gegenvorschlag zu MacKinnons kategorischer Verurteilung der Pornographie – die in der Pornobranche Tätigen gewerkschaftlich geschützt werden müßten. Trotz dieser irgendwie noch nachvollziehbaren Forderung im Stile der Frauensolidarität hält Cornell an ihrem absoluten Feindbild vom „heterosexuellen Mainstream-Porno“ fest; und macht ihre eigene Differenzierung zunichte. Zu erwägen, ob auch Männer, nicht nur Frauen, in der Durchschnittspornographie in einem zweifelhaften – oder sogar harmlosen? – Licht erscheinen, gehört zu den Tabus dieses Feminismus, der sich in der Rolle des Opfers zu gut gefällt. In einer Ich- Prosa, die offenbar pädagogisch sein soll, in Wahrheit wohl eher die eigentliche Passion verrät, nämlich fiction zu schreiben, teilt Cornell mit: „Wenn man mich dazu zwingt, dabei zuzusehen, wie mein ,Geschlecht‘ zerstückelt wird, dann bin ich schon als Person, deren Unverletzlichkeit respektiert werden muß, in meinem Selbstgefühl verletzt worden. In der Pornographie werde ich dazu gezwungen, mich als jemanden zu sehen, dessen ,Geschlecht‘ verletzt werden kann, der mißbraucht und sogar getötet werden darf.“

Daß die Gewaltpornographie, zu der solche Deutungen unter Umständen passen würden, ohnehin bereits vom Strafgesetz verboten ist, also keineswegs im freien Handel zu haben, darf nicht zugegeben werden. Statt dessen wird Männergewalt-gegen-Frauen dogmatisch als Quintessenz jedweden „heterosexuellen Mainstream- Pornos“ unterstellt. Diese Gleichmacherei darf man getrost antiaufklärerisch nennen. Im übrigen bedeutet sie eine Trivialisierung realer Gewalt.

Geh doch in die Zone

Überall halluziniert Drucilla Cornell Pornographie: „im Supermarkt, in dem ich einkaufe, in den öffentlichen Verkehrsmitteln, die ich benutze, und wo immer sonst ich Besorgungen mache.“ Wer einmal in den USA war, weiß, das das Gegenteil zutrifft.

Daß Länder, in denen vergleichsweise offen mit Pornographie umgegangen wird (Schweden, Dänemark), keineswegs mehr Probleme mit sexueller Gewalt haben, weiß auch Cornell. Aus dieser Bredouille will sie sich retten, indem sie nicht die Abschaffung von Pornographie fordert, sondern – zweiter grandioser Gegenvorschlag zu MacKinnon – die Schaffung von „Zonen“, in die die Pornographie zu verbannen sei. Als sei das nicht längst so! Pornos kauft man in Pornoläden – basta. Man muß da nicht hineingehen. Es ist, kurz gesagt, längst, wie Cornell es haben will. Im übrigen darf man sich wundern, wie Cornell die Früchte solcher Pornozonen mit ihrer Beschreibung des New Yorker West-Village vereinbaren will, wo diese Zonen schon eingerichtet seien, wo aber – Cornell zufolge – einen an jeder Ecke diese gräßliche Pornographie anspringe.

An der paradoxen Forderung nach „Zonen“ (allein das Wort hat einen totalitären Anklang) hängt aber eine Utopie: Das weibliche „Imaginäre“ soll durch sie geschützt werden. Und wenn das weibliche Imaginäre geschützt wird, dann, ja dann ... kann es sich erst richtig „befreien“. Denn die Befreiung des weiblichen Imaginären, man mag es kaum glauben, ist – Cornells erklärtes Ziel.

Wie bigott diese Haltung ist, zeigt sich bei der hochnaiven Gnade, die sie in bezug auf lesbische, schwule und transsexuelle Pornographie (auch wieder so eine korrekte Reihe) walten läßt. Geht es um schwule Videoshops, deren es im West-Village reichlich gibt, ist plötzlich von dem Profitstreben, das Cornell den Herstellern der bösen „heterosexuellen Mainstream-Pornographie“ vorwirft, nicht mehr die Rede. Im ganz Anderen das ganz Gleiche zu erkennen, ist offensichtlich verboten.

Eher zufällig scheint der Juristin Cornell die psychoanalytische Theorie in die Hände gefallen zu sein, leider. Sie hat einen einführenden Reader und ein Buch von Slavoj Žižek gelesen (alles brav in den Fußnoten nachgewiesen), und nun gefällt sie sich darin, ihren vulgären Sekundär-Lacanismus in die Welt zu werfen, der sich vor allem durch den fetischistischen Gebrauch zweier Wörter auszeichnet, das „Imaginäre“ und das „Symbolische“, ansonsten an der (komplett anti-lacanschen) Idee festhält, das Unbewußte sei vor allem eine Angelegenheit besonderer Tiefe. Mit geradezu studentischer Begeisterung und immer im Indikativ präsentiert Cornell die Weltformel für jene titelgebende „Versuchung“, die Pornographie auf den heterosexuellen Mann notgedrungen ausübe. Endlich hat sie das Raubtier gezähmt: „Pornographie zeugt von der Machtlosigkeit des Mannes, der seine Kastrationsangst allein nicht lösen kann.“ – Der Pornokonsum von Homosexuellen oder Frauen (igitt!), bleibt dagegen hübsch unerklärt.

Was sich also zunächst als politisches Engagement geriert (siehe die Gesetzentwürfe), erweist sich schließlich als ausgeprägte Neigung zu ungeordneter Geschmacklosigkeit. Der Schamlippen-Kitsch der unsäglichen Luce Irigaray ist der Juristin Cornell als Referenz gerade recht. Und wer ihren finalen Jauchzer: „Wir sind die Schaumfrauen, die Regenfrauen und noch viel mehr“ nicht versteht, lese das Vorwort von Barbara Vinken: „Das Begehren kann nicht vom Subjekt ausgedrückt werden; vielmehr markiert es die Grenze des Subjekts, das es gleichzeitig durchkreuzt.“ Beruhigend, daß auch das keiner verstehen wird.

Drucilla Cornell: „Die Versuchung der Pornographie“. Mit einem Vorwort von Barbara Vinken. Aus dem Amerikanischen von Vincent Vogelvelt, Berlin Verlag, 143 Seiten, 20 Mark