Der Ur-Walkman als Kronjuwel

Wie die zerbombte Stadt zur Metropole der fünfziger Jahre wurde – eine Ausstellung in der Haubrich-Kunsthalle bietet Daten und Dönekes über „Das Neue Köln 1945-1995“  ■ Von Ralf Niemczyk

Eine Stadt stellt sich aus. Hochoffiziell und mit reger Anteilnahme der geschätzten Unternehmerschaft. Fünf runde Jahrzehnte liefern den reichhaltigen Fundus zur üppigen Selbstbeschau. Während man anderswo noch mit dem Befreiungsjubiläum kämpft, ist das Thema in Köln längst „durch“. Stand doch der Amerikaner bereits am 6. März 1945 vor den Portalen des Doms. Zumindest für die linksrheinischen Stadtteile war damit der Krieg beendet. Zwei Tage später nahm das Arbeitsamt seinen Dienst wieder auf ...

„Das Neue Köln 1945-1995“, so der Titel dieser regionalen Nachkriegsaufarbeitung in der Haubrich-Kunsthalle am Neumarkt, kann natürlich nicht auf ein gut abgehangenes Epochenbild wie etwa Biedermeier in Wien oder die Belle Epoque in Paris zurückgreifen. Der Forschungsgegenstand ist taufrisch, Pionierarbeit ist zu leisten. Und so erfüllten sich die Ausstellungsmacher um Stadtmuseumschef Werner Schäfke einen langgehegten Traum: Sie zimmerten sich ihre Historie selbst. Die Exponate reichten getreu dem Merksatz, daß Geschichte nicht von den Großen und Mächtigen gemacht wird, von einem blechernen Farbeimer mit Kölner „Brückengrün“ über die noch gut erhaltenen Seventies-Plateauschuhe einer Museumssekretärin bis zur Begrenzungspforte der längst ausgelagerten innerstädtischen Bordellgasse. Die Zeitmarke „45“ als „Epochenbeginn“ war im plattgewalzten Köln noch nachhaltiger als anderswo, erwog doch die alliierte Kommandantur für kurze Zeit einen Neuaufbau einige Kilometer rheinabwärts. Als dann Generalplaner Rudolf Schwarz 1950 erstmals sein neues Köln im Grundsatzentwurf zur Stadtentwicklung vorstellte, waren diese Pläne zwar längst vom Tisch, doch der Drive der Fünfziger konnte sich in der inzwischen freigeräumten Ruinenlandschaft besondes ausgiebig entfalten. Genug Platz für hochfliegende Visionen gab es allemal. Die Möblierung dieser und nachfolgender Entwicklungsphasen – wie die Neonschriftzüge, Nierentisch- Landschaften und Plastikwelten – stammt aus den Schatzkammern des notorischen „Orjinals“ und Stadtspurensammlers Hermann Götting.

Der hortet seit Jahren unter reger Anteilnahme der lokalen Medien vom alten „4711“-Schriftzug des Messeturms bis zum Eisdielentresen allerlei pittoreskes Kunsthandwerk. Alltagspreziosen, die das Stadtmusum bei dieser Gelegenheit mit Stolz durchkatalogisiert hat. Hoppla, hier wird Geschichte gemacht! Was möglicherweise liebevoll volkstümlich gemeint ist und im musealen Kontext noch als „frech“ durchgehen mag, ist in seiner Zusammenstellung bemerkenswert provinziell und oberflächlich geraten.

„Das Neue Köln“ will Pop sein und verzichtet dennoch nicht auf öde und überfrachtete Zeittafeln wie zu Kaisers Zeiten. Auch der Hinweis auf den vergleichsweise knappen Gesamtetat von 1,2 Millionen Mark, der keinerlei multimediale Touchscreens oder ähnlich neumodische Infotainment- Vehikel zugelassen hat, zieht nicht. Schließlich läßt gerade das selbstverordnete offene Konzept spielerische oder gar avantgardistische Elemente zu.

Doch selbst zarte Ansätze werden von der hausbackenen Präsentation erschlagen. Da darf sich der extra aus Amerika eingeflogene Ur-Walkman der Noch-Kölner demnächst Berliner Sony-Zentrale in seiner Vitrine wie die Kronjuwelen fühlen. Man gibt sich offen, läßt allerlei Gegenkulturen ihre Eckchen, bettet sie aber in eine hölzern distanzierte Verwaltungsschreibe ein. In ihrem Bestreben, möglichst jede Facette der Kölner Stadtentwicklung aufzuzeigen und zudem den zahlreichen Sponsoren noch reichlich Platz zur meist satten Selbstdarstellung einzuräumen, zerfällt „Das Neue Köln“ in ein beziehungsloses Sammelsurium von Kuriositäten und Offiziösem. Immerhin: All das ist zwischen 1945 und 1995 passiert.

Der opulente Ausstellungskatalog wiegt sechs Pfund und hat über 600 großformatige Seiten, wobei die ersten 116 „mitpaginierte“ Anzeigen ortsansässiger Unternehmen sind. Das Prinzip der Ausstellung gilt auch hier: eine Wundertüte aus Fotos, Daten, Fakten und Zahlen, die einen scheinbar objektiven Überblick über Geist und Gesellschaft der Eigenbrödler vom Rhein vorgaukeln. Informationen bis die Schwarte kracht, gegliedert in die Sektoren Chronik, Einzelthemen (Wirtschaft, Verkehr etc.) und Biografien. „Wir haben (möglichst) nicht gewertet“, heißt es in der Einleitung zum Katalog, die – kleines Witzchen – ohnehin nur „für kritische Leser und -innen“ gedacht ist. Mit dem Hinweis auf die geschätzte eigene Meinung des Lesers/Betrachters verabschiedet sich das Ausstellungsteam vorsorglich aus der Pflicht, dem Kraut-und-Rüben-Ansatz durch etwaige Thesen oder Verbindungslinien etwas Profil zu verleihen. Was macht dieses „Neue Köln“ – auferstanden aus Ruinen – nun aus? Wo liegen die Besonderheiten seiner Entwicklung im Vergleich zu anderen Städten der (alten) Bundesrepublik? Museumschef Schäfke wies beim Presserundgang ausdrücklich darauf hin, daß man die Stadt nicht als isolierte Insel verstanden hat. Wohl nur aus der Innenbeschau heraus. Eine Einordnung in den Bedeutungskanon von Mitteleuropa fehlt ebenso wie eine Auseinandersetzung mit der traditionellen West-/Südwest- Ausrichtung Kölns bis hinein nach Benelux. Statt dessen erfahren wir, daß die mobile Reibekuchenbude am Hauptbahnhof im Jahre 1983 durch einen festinstallierten Pavillon ersetzt wurde.

Die Zusammenstellung der Daten und Dönekes war zweifellos eine immense Fleißarbeit und der „Weißte-noch?“-Effekt beim Betrachter als Zeitzeugen wird manche private Erinnerung abrufen. Doch die Stadt, um die es ja „in unserer schwierigen Gegenwart“ (Oberbürgermeister Burger im Vorwort) gehen soll, zerfällt kaleidoskopartig in tausend Einzelteile. Für die Cooperate Identity Kölns fällt in Zeiten des knallharten Städtemarketings leider nicht allzu viel ab. Es sei denn, die Verantwortlichen halten Hemdsärmeligkeit für einen Standortfaktor, den es um jeden Preis zu promoten gilt.

„Das Neue Köln 1945-1995“ – Eine Ausstellung des Kölnischen Stadtmuseums in der Josef-Haubrich- Kunsthalle, 22. April bis 18. August. Der gleichnamige Katalog hat 605 Seiten und kostet 68 Mark