Mitleid für die Deutschen

Der polnische Außenminister ersparte den Deutschen indes nicht die Begegnung mit ihrer Geschichte / Bundestag und Bundesrat gedenken  ■ Aus Bonn Hans Monath

Auch Ungeschicke können historische Momente heraufbeschwören. Weil Bundeskanzler Helmut Kohl nur die alliierten Siegermächte nach Berlin zur zentralen Gedenkfeier zum 50. Jahrestag des Kriegsendes am Abend des 8. Mai laden wollte und damit Polen brüskierte, organisierten Bundesrat und Bundestag eine eigene Feier mit einem Redner aus dem Nachbarland. Gestern nutzte sie der polnische Außenminister Wladyslaw Bartoszewski zu einer Rede, die aus Ehrlichkeit gegenüber der eigenen Geschichte neue Chancen für die deutsch-polnischen Beziehungen eröffnete.

Kaum ein anderer Redner hätte es fertiggebracht, die für viele Deutsche unangenehmen Wahrheiten so auszusprechen, daß von Ignatz Bubis und Romani Rose bis zu den Vertretern der Vertriebenenverbände und bis hin zu Alfred Dregger im Plenum und auf den Zuschauerbänken keiner seine Zustimmung versagen konnte. Der erst vor wenigen Wochen ernannte polnische Außenminister aber ist der richtige Mann dafür. Er saß sieben Monate im KZ Auschwitz, war Mitglied des polnischen Untergrundstaates, nahm 1944 am Warschauer Aufstand teil und kämpfte nach dem Krieg gegen den Kommunismus.

Bevor er die schwierigen Schritte der Aussöhnung zwischen Polen und Deutschen in der Nachkriegszeit schilderte, würdigte Bartoszewski die Gruppen der Opfer und die Namen der Konzentrationslager, welche Polizei- und Verwaltungsbehörden des Dritten Reichs im besetzten Polen errichtet hatten. Zum Streit um die Bedeutung des 8. Mai zitierte er Richard von Weizsäcker, der sich zur Schuld Deutschlands bekannt hatte. „Auch nach dem Ablauf eines halben Jahrhunderts fühle ich mich verbunden mit den Opfern von Aggression und Gewalt, mit den Opfern von Unterdrückung und Verbrechen“, sagte Bartoszewski. „Ich kann nicht in einem Atemzug Opfer und Täter nennen.“ Der Bundestag applaudierte.

Aber Bartoszewski tat auch einen Schritt, der ihm in Polen Kritik einbringen wird, auf den in Deutschland aber viele gewartet haben: Er bedauerte die Vertreibung und die damit verbundenen Gewalttaten und Verbrechen an Deutschen. Der Außenminister erinnerte daran, daß Polen die Verschiebung seiner Grenzen nicht gewollt hatte und als Ergebnis des Weltkrieges kleiner war als zuvor. Von den Vertreibungen und Verbrechen seien auch viele Menschen deutscher Herkunft betroffen gewesen, auch Polen hätten zu den Tätern gehört: „Ich möchte es offen aussprechen, wir beklagen das individuelle Schicksal und die Leiden von unschuldigen Deutschen, die von Kriegsfolgen betroffen wurden und ihre Heimat verloren.“

Im Bundestag erwähnte der Friedenspreisträger des deutschen Buchhandels den Streit um die Einladung Polens zu den zentralen Gedenkfeiern mit keinem Wort. Trotzdem wurde in seiner Rede deutlich, warum die Polen sich gedemütigt fühlten, als Lech Walesa entgegen seinem ausdrücklichen Wunsch nicht nach Berlin geladen worden war: Der deutsche Bundeskanzler bestätigte mit der Ausgrenzung Walesas die Ergebnisse sowjetischer Großmachtpolitik. Die Nichtanerkennung Polens als Siegerstaat im Jahr 1945 sei „ein politisches Zugeständnis der Westalliierten an Stalin“ gewesen. Daß Vertreter des vereinigten, demokratischen Deutschlands Stalins Politik – und sei es nur symbolisch – weiterführen, mußte die Polen wahrlich befremden.

Aber nur bei der Geschichte wollte der polnische Außenminister Wladyslaw Bartoszewski nicht stehenbleiben: „Wir müssen möglichst schnell jene Zeit aufholen, die durch Mißtrauen, Verachtung, Feindschaft und Krieg verlorengegangen ist. So verstehe ich den Sendungsauftrag des heutigen demokratischen Polen, seiner Regierung und meinen eigenen Auftrag gegenüber Deutschland.“