Kreuzberg zieht nicht in den Osten

■ Polizei entdeckt „linke Gewaltszene“ aus Kreuzberg in Prenzlauer Berg / Anwohner: Dafür fehlen hier die Strukturen

Konrad R. steht mit einer Schubkarre voller Steine und Glasscherben auf dem Kollwitzplatz und schüttelt den Kopf: „Ich finde keine Worte. Das sah heute früh so wüst aus, als hätte man eine Mülldeponie auseinandergenommen.“ Seit sechs Uhr sind er und drei weitere Mitarbeiter des Naturschutz- und Grünflächenamtes an diesem Dienstag morgen dabei, die Spuren der Walpurgisnacht und des 1.Mai zu beseitigen.

Während die Polizei in Kreuzberg einen vergleichsweise ruhigen 1. Mai erlebte, setzte sie am Kollwitzplatz, wie schon in der Walpurgisnacht, Tränengas und Wasserwerfer ein. Feierten am Sonntag abend etwa 2.000 vorwiegend friedliche Personen das Hexenfest, das nach Angaben von Augenzeugen gewaltsam aufgelöst wurde (siehe gestrige taz), sind sich Anwohner und Polizei darin einig, daß es am Abend des 1. Mai gewaltbereite Jugendliche waren, die ganz bewußt Krawalle provoziert haben.

Gibt es also einen „schleichenden Umzug der linken Gewaltszene von Kreuzberg nach Prenzlauer Berg“, vor dem gestern der rechtspolitische Sprecher der CDU, Dieter Hapel, warnte? Anwohner und Kneipenbetreiber am Kollwitz- und Wasserturmplatz sehen das eher wie die stellvertretende innenpolitische Sprecherin der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Anette Detering. Sie befürchtet, daß im Prenzlauer Berg eine ähnliche Spirale der Gewalt in Gang gesetzt wird wie 1987 in Kreuzberg. „Die Polizei trägt ein gerütteltes Maß an Mitschuld, wenn die Krawalle am 1. Mai jetzt auch im Prenzlauer Berg zur Tradition werden“, teilte sie gestern mit.

Denis Caron, Koch im Café Westphal, erinnerte das Vorgehen der etwa 600 Beamten am Vorabend des 1. Mai an die Taktik der Polizei 1987 in Kreuzberg. An eine Verlagerung der gewaltbereiten 1.- Mai-Szene in den Prenzlauer Berg indes glaubt er nicht. Einige wenige Leute hätten „Bock gehabt, die Sau rauszulassen“ und die Polizei habe „einen Grund gesucht, um ihre Wichtigkeit zu beweisen“. In Prenzlauer Berg fehle die politische Struktur, um ein Kreuzberg des Ostens zu werden. „Das war Krieg von der Polizei aus, ohne Gegner“, so der Koch.

Die 23jährige Studentin Katja hält es gar für möglich, daß die Polizei „die 1.-Mai-Demo regelrecht gesucht hat“. Kellnerin Ute im „Tantalus“ ist überzeugt, die Polizei würde es gern so darstellen, daß sich der Prenzlauer Berg zum Ostpendant zu Kreuzberg entwickelt. Eine „organisierte Autonomenbewegung“ gebe es jedoch eher in Friedrichshain. „Aber danach kräht zur Zeit kein Hahn“, so die Kellnerin. Nach den Ausschreitungen am Sonntag und Montag befürchtet sie, daß man in Zukunft mit mehr Polizei im Kiez rechnen müsse. Barbara Bollwahn

Siehe auch Bericht Seite 4