Kurden sind auch in Istanbul nicht sicher

■ Hans-Dieter Roos, Vorsitzender Richter beim Oberverwaltungsgericht in Schleswig, zum gerichtlich verfügten Asyl für Kurden aus den Notstandsprovinzen der Türkei

Schleswig (taz) – Das Urteil hat Signalwirkung, ist gleichzeitig aber höchst umstritten: In der vergangenen Woche entschied das Oberverwaltungsgericht Schleswig, daß Kurden aus den Notstandsprovinzen der Türkei in Schleswig-Holstein automatisch Asyl erhalten. Die Richter schlossen ausdrücklich eine Fluchtalternative für Kurden in der Westtürkei aus und wichen damit von der gängigen Rechtsprechung zur Menschenrechtslage in der Türkei ab. Kritik gab es vom Bundesbeauftragten für Asylfragen, in NRW dagegen werden aufgrund des Urteils Kurden nicht mehr abgeschoben.

taz: Warum gehen Sie davon aus, daß Kurden aus den Notstandsgebieten der Türkei verfolgt werden?

Hans-Dieter Roos: Das Militär der Türkei nimmt bei der Verfolgung in diesen Notstandsgebieten keine Rücksicht auf die Zivilbevölkerung. Wir haben uns mit unserem Urteil an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes gehalten, das unterschieden hat zwischen landesweiter und regionaler Verfolgung. Bei der regionalen Verfolgung ist die inländische Fluchtalternative in Abstufungen zu berücksichtigen. Nach unserer Ansicht sind Kurden als Gruppe nicht hinreichend sicher vor Verfolgung, auch nicht in den westlichen Großstädten wie Istanbul, Ankara, Ismir. Insbesondere wenn die PKK dort Anschläge verübt hat, werden in den bestimmten Vierteln dieser Städte von den türkischen Behörden Razzien durchgeführt und dann gezielt darauf geachtet, wer aus den Notstandsgebieten kommt. Den Festgenommenen droht Folter und möglicherweise Schlimmeres.

Worauf stützt das Gericht seine Bewertung?

Uns lagen mehrere Gutachten von freien Sachverständigen, der Gesellschaft für bedrohte Völker, von amnesty international und Informationen aus der Zeitschrift Medico-International vor, das neueste Gutachten stammte vom März dieses Jahres. Auch Auskünfte vom Auswärtigen Amt aus Bonn haben wir zugrunde gelegt. Im Gegensatz zu den anderen Sachverständigen, deren Angaben im wesentlichen übereinstimmen, schildert das Auswärtige Amt die Situation etwas anders, steht aber nicht unbedingt im Widerspruch zu den anderen Gutachten.

Die Revision zu dem Urteil haben Sie nicht zugelassen. Warum?

Revision muß nur zugelassen werden, wenn zum einen das Urteil in rechtlicher Hinsicht von grundsätzlicher Bedeutung ist oder von der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung abweicht. Abweichen tun wir nicht, wir halten uns strikt an das, was das Bundesverfassungsgericht vorgegeben hat und was das Bundesverwaltungsgericht bestätigt hat. Der vierte Senat hat im Januar 1994 nach demselben Muster Tamilen aus Sri Lanka als Asylberechtigte anerkannt und ist vom Bundesverwaltungsgericht im September 94 bestätigt worden. Da es nicht von grundsätzlicher Bedeutung im Rechtssinne ist, lag die Nichtzulassung der Revision auf der Hand.

Der Bundesbeauftragte für Asylfragen will Beschwerde dagegen einlegen, hat er Chancen?

Es gibt nur noch einen dritten Grund für eine Revision: Verfahrensmängel. Ich gehe nicht davon aus, daß wir Verfahrensfehler gemacht haben. Interview: Kersten Kampe