Fremde Zungen, deutsche Sprache etc.
: Freunde und ehemalige Freunde

■ Muttersprache ade: Dichter aus Ex-Jugoslawien und ausländische AutorInnen deutscher Zunge beim neunten internationalen Lyrikertreffen in Münster

Der Krieg in Slowenien, sagt der junge Dichter und Essayist Aleš Debeljak, habe die Welt nicht verändert, aber sein Verhältnis zur Welt verändert. Nichts sei mehr wie früher. Der Doyen der kroatischen Lyrik, Slavko Mihalić, sieht hingegen die Aufgabe der Poesie im Krieg wie im Frieden unverändert in einem Humanismus, in einer Verteidigung des „Glaubens an den Menschen“. Josip Osti kommt aus Sarajevo und erzählt, wie er zusehen muß, während seine Freunde jene Stadt verteidigen, die von seinen ehemaligen Freunden in Schutt und Asche gelegt wird. Milovan Dordjević aus Belgrad sagt, er äußere sich ungern zur Politik, aber die Schriftsteller und Intellektuellen aus seiner Heimat hätten gezeigt, wie Worte zu Bomben werden können. In Belgrad müsse man denken, „der Mensch sei eine ausgestorbene Art“.

Beim neunten internationalen Lyrikertreffen in Münster lag ein Schwerpunkt diesmal auf einer Lesung von Autoren aus Bosnien-Herzegovina, Serbien, Kroatien und Slowenien.

„Wohin ich auch gehe, gehe ich durch die Straßen von Sarajevo“, heißt es in einem Gedicht von Josip Osti, der im Exil in Ljubljana leben muß. Schmerzlich wurde Abdullah Sidran vermißt, der Sarajevo nicht verlassen konnte, weil ein zum Kriegsverbrecher konvertierter Dichterkollege, Radovan Kradžić, den Betrieb am Flughafen der Stadt kontrolliert.

Das Münsteraner Treffen war ein weiteres Mal ein großer Erfolg beim Publikum. In diesem Jahr war es von den beiden Herausgebern der Literaturzeitschrift Schreibheft organisiert worden. Der Preis der Stadt Münster für Europäische Poesie ging an die dänische Autorin Inger Christensen und ihren deutschen Übersetzer Hans Grössel.

Das Treffen ist nicht nur deshalb so gelungen, weil es den Autoren aus Ex-Jugoslawien ein zahlreiches und aufmerksames Publikum bescherte, von dem sie sonst nur träumen können. Sehr verdienstvoll war auch die Entscheidung der Veranstalter, ein erstes Podium „zur deutschsprachigen Lyrik von Ausländern und Ausländerinnen“ zu initiieren, darunter der in Calabrien geborene, seit 1970 in der Bundesrepublik lebende Gino Chiellino, die in Istanbul geborene, in Deutschland aufgewachsene Zehra Çirak und Adel Karsholi, Jahrgang 1936, der als bereits anerkannter arabischer Dichter 1959 Syrien verlassen mußte und sich 1961 in Leipzig niederließ.

Der Titel des Podiums reizte zum Einspruch. Zehra Çirak wies darauf hin, daß die englischsprachige Literatur schon so lange von den Rändern des ehemaligen Commonwealth her bereichert wird, daß man kein Bedürfnis mehr nach einer Differenzierung nach Herkunftsnationen der AutorInnen empfindet. Gino Chiellino bedauerte das verbreitete Unvermögen, die Bereicherung für die deutsche Literatur zu würdigen, die daraus entstehen kann, wenn ein Autor in einer Sprache schreibt, ohne an dem kollektiven Gedächtnis der Sprachgemeinschaft zu partizipieren. Das ist seiner Auffassung nach ein Weg, auf dem die Erfahrung des Fremden in die Sprache eindringen kann.

Die Zugänge und Beziehungen der nichtdeutschen Lyriker zur deutschen Sprache unbd Kultur sind allerdings, wie sich herausstellte, sehr unterschiedlich. Zehra Çirak fühlt, wie sie bekannte, keine Fremdheit in der Sprache, mit der sie aufgewachsen ist.

Die türkische „Muttersprache“ hingegen beherrsche sie wie eine 12jährige. Adel Karsholi hingegen war es am Anfang in seiner deutschen Umgebung unheimlich, weil er mit ihr nur sehr mühsam in der Alltagssprache kommunizieren konnte. Seine Gedichte wurden zwar übersetzt, aber er mußte sich mit der Rolle des Exoten auseinandersetzen, die ihm unangenehm war. So fing er schließlich an, auf deutsch zu schreiben: „Eine Irrfahrt begann“, sagt er.

Vor dem Hintergrund der fremden Dichter wirkten die von Jörg Drews präsentierten deutschen Teilnehmer, wie etwa Thomas Kling, gewissermaßen noch deutscher in ihrem Bemühen, das Kaputte der Sprache, die Klischees, die Unsprache sprechen zu lassen. Im Gegensatz zu den ausländischen Dichtern deutscher Zunge zeigten sie ein agonales, in diesem Kontext fast feindlich wirkendes Verhältnis zu ihrer Sprache. Dunja Melcic