Von Ehepflicht und Eherecht

Die Vergewaltigung in der Ehe soll strafbar werden / Interessen der Parteien sind jedoch unterschiedlich / Zum Stand der Rechtsdiskussion  ■ Von Nicole Stürmann

Eine Reform des Sexualstrafrechts ist längst überfällig und, wie es scheint, auch nicht mehr aufzuhalten. Davon betroffen wäre auch jener Paragraph 177 des Strafgesetzbuches (StGB), der bisher nur die außereheliche Vergewaltigung unter Strafe stellt.

Noch ist in Deutschland die Vergewaltigung in der Ehe gesetzlich nicht erfaßt. Noch wird sexuelle Gewalt in der Ehe lediglich über die Strafvorschriften der Nötigung oder der Körperverletzung geahndet. Skandalös, daß bis heute die Entscheidung des Reichsgerichts vom Jahre 1937 immer noch den Prozeßalltag bestimmt. Hier heißt es: „Die Anschauung des Volkes empfindet aber einen Beischlaf unter Eheleuten, auch wenn er erzwungen ist, nicht als Unzucht, sondern als strafbare Beeinflussung des Willens der Frau.“

Daß die Frau jedoch mit dem „Ja“ zur Ehe beim Standesamt nicht ihre sexuelle Selbstbestimmung ablegt, darüber ist sich „Volkes Anschauung“ inzwischen auch in der Bundesrepublik einig. Die jahrelange Arbeit der Befürworter einer Reform scheint nun Früchte zu tragen. Das folgenschwere Adjektiv „außerehelich“ soll aus dem Sexualstrafrecht gestrichen werden. Damit wäre auch die Vergewaltigung in der Ehe ohne Umwege strafbar.

Selbst die Konservativen werden sich einer Reform des Vergewaltigungsparagraphens nicht mehr verschließen, und das dürfte nicht ausschließlich auf ein plötzlich gewandeltes Wertesystem zurückzuführen sein. Ein Zeichen für das nur verhaltene Engagement der konservativen Parteien ist jedoch, daß die Bundesregierung immer noch keinen eigenen Gesetzentwurf zur Reform des Vergewaltigungsparagraphen vorgelegt hat. SPD und Grüne haben das bereits Anfang der achtziger Jahre getan. Die Bundesregierung Helmut Kohls beschränkt sich bislang darauf, zu dem Gesetzesentwurf des Bundesrates denkbar knapp Stellung zu nehmen und Zustimmung zu signalisieren.

Traditionelle Ehepflicht

Doch – Europa ruft. Eine von der Bundesregierung in Auftrag gegebene Studie des Freiburger Max- Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht belegt die deutliche Tendenz in Europa und den USA, auch die eheliche Vergewaltigung zu bestrafen.

Die erste Lesung im Bundestag fand jedoch lediglich unter Vorlage der Gesetzentwürfe von Bundesrat, SPD und PDS statt. Der Entwurf der Abgeordneten Irmingard Schewe-Gerigk (Bündnis 90/ Die Grünen) konnte in ihrer Fraktion bisher keine Mehrheit finden. Hier wird noch diskutiert. Hauptstreitpunkt ist, ob das Mindeststrafmaß herabgesetzt werden soll, um die Möglichkeit zu schaffen, die Strafe auch auf Bewährung auszusetzen.

Ursprünglich wurde der Vergewaltigungsparagraph nicht zum Schutz der sexuellen Selbstbestimmung der Frau ins Strafgesetzbuch aufgenommen, sondern weil gewaltsam erzwungener Geschlechtsverkehr Schwangerschaften zur Folge haben konnte. Diese nämlich eröffneten die Möglichkeit einer legalen, aber ungern gesehenen Abtreibung. Logische Konsequenz war es, die Ehe aus der Vorschrift herauszunehmen.

Juristen definieren Ehe gerne als Lebens- und Geschlechtsgemeinschaft, und für die Anhänger dessen, was „Ehepflicht“ im traditionellen Sinne heißt, ist die bevorstehende Reform ein harter Schlag.

Kaum zu glauben, aber diese Spezies ist nicht ausgestorben. Noch vor zehn Jahren erdreistete sich der Kieler Juraprofessor Eckhard Horn in einem zynischen Gedankenspiel für die renommierte Zeitschrift für Rechtspolitik darzulegen, wer bei einer Vergewaltigung seiner Ansicht nach eigentlich wen nötigt. Er bezieht sich auf ein für heutige Begriffe skandalöses Urteil des Bundesgerichtshofes aus dem Jahr 1966, in dem es heißt: Die Frau genügt ihren ehelichen Pflichten nicht schon damit, daß sie die Beiwohnung teilnahmslos geschehen läßt. Wenn es ihr infolge ihrer Veranlagung oder aus anderen Gründen (...) versagt bleibt, im ehelichen Verkehr Befriedigung zu finden, so fordert die Ehe von ihr doch eine Gewährung in ehelicher Zuneigung und Opferbereitschaft und verbietet es, Gleichgültigkeit oder Widerwillen zur Schau zu tragen.“ Woraus Eckhard Horn zu folgern wagt: Der Ehemann verteidige sich gegen den rechtswidrigen Angriff seiner Ehefrau, der darin bestehe, daß diese ihrer Rechtspflicht zur Gewährung in ehelicher Zuneigung und Opferbereitschaft nicht nachkomme. Sich also weigere, die eheliche Gemeinschaft herzustellen, zu dessen Vollzug in der Regel die ständige Wiederholung der geschlechtlichen Vereinigung gehöre. Angriff durch Unterlassen heißt das im Fachjargon. Und diese absurde juristische Prosa mag illustrieren, welch Wertewandel vollzogen werden muß, um von der „Ehepflicht“ zum sexuellen Selbstbestimmungsrecht der Frau und damit zur Strafbarkeit ehelicher Vergewaltigung zu gelangen.

Da sich dieser Wandel in den vorhergegangenen Legislaturperioden im Bundestag bisher nicht durchsetzen konnte, heißt es im heute gültigen Gesetzestext immer noch: „Wer eine Frau mit Gewalt oder Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben zum außerehelichen Beischlaf mit ihm oder einem Dritten nötigt, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren bestraft“. Ein Wertewandel scheint eingesetzt zu haben: Das Wort „außerehelich“ soll nun, wie in anderen europäischen Ländern längst geschehen, ersatzlos gestrichen werden.

Für reformbedürftig wird außerdem die Definition des Begriffes Beischlaf gehalten. Bisher gilt nur die vaginale Penetration als solcher. Über die Erweiterung des Beischlafbegriffes auf anale und orale Penetration, die in vergleichbarer Weise eine Erniedrigung für das Opfer darstellt und auch dem vergewaltigten Mann die Möglichkeit gibt, den Täter strafrechtlich zu verfolgen, gibt es ebenfalls keine Diskussion mehr. Ob aber auch in den Körper des Opfers gegen dessen Willen eingeführte Gegenstände – wie in einem Entwurf der Grünen und dem Gesetzesvorschlag der PDS gewünscht – als Vergewaltigung zu klassifizieren sind, darüber werden sich die Abgeordneten möglicherweise penible Debatten liefern. Es sei schon mal auf die vorbildlich diskrete Konkretheit des französischen Strafgesetzes hingewiesen, wo es schlicht „toute penetration sexuelle“ heißt: jedes sexuelle Eindringen, sofern es gegen den Willen des Opfers mit Gewalt vollzogen wird, ist eine Vergewaltigung.

Meinungsverschiedenheiten wird es mit Sicherheit zu dem Gewaltbegriff geben. Augenblicklich herrscht die absurde und demütigende Situation, daß das Vergewaltigungsopfer im Prozeß die physische Gewalt, die ihm angetan wurde, regelrecht beweisen muß, während anderseits die Kriminalpolizei immer wieder rät, dem Täter keinen Widerstand zu leisten, um sich nicht noch in Lebensgefahr zu bringen. Wer mit dem Leben davonkommen will muß also schon in Kauf nehmen, daß Täter und Verteidiger im Prozeß später behaupten werden, die Frau habe keinen Widerstand geleistet, es sei zu keiner Gewaltanwendung gekommen.

Dieser Paradoxie will die SPD in ihrem Gesetzentwurf abhelfen mit dem Zusatz: „... oder unter Ausnutzung einer hilflosen Lage“. Doch auch eine hilflose Lage will bewiesen sein, und die Beweisschwierigkeit ist das hauptsächliche Dilemma der Vergewaltigungsprozesse. In dem Gesetzentwurf der Grünen Abgeordneten Irmingard Schewe-Gerigk soll es daher nicht darauf ankommen, auf welche Weise der entgegenstehende Wille des Opfers gebrochen wird; eine Nötigung des Opfers gegen seinen Willen oder durch Drohung soll ausreichen und den Folgen des bisher so restriktiv ausgelegten Gewaltbegriffs ein Ende bereiten.

Der Absatz zwei der bisher geltenden Strafvorschrift, der „minder schwere Fall“ der Vergewaltigung, bereitet Juristen seit einigen Jahren Kopfzerbrechen. Zur Erläuterung: Mit einer Mindeststrafe von zwei Jahren Gefängnis ist die Vergewaltigung ein Verbrechen, die Strafe kann im Regelfall nicht zur Bewährung ausgesetzt werden. Eine Verurteilung bedeutet Knast. Während in früheren Jahren heftig über eine Herabsetzung der Mindeststrafe diskutiert wurde, besteht heute Einigkeit, das hohe Strafmaß beizubehalten. Lediglich die Fraktion der Grünen konnte sich bisher nicht für die Symbolik der Abschreckung entscheiden. Wird ein Täter wegen eines „minder schweren“ Falles der Vergewaltigung verurteilt, liegt das Strafmaß zwischen drei Monaten und fünf Jahren, die Strafe kann also zur Bewährung ausgesetzt werden. Was eine Vergewaltigung „minder schwer“ macht, das sagt nicht das Gesetz, das ergibt sich aus der Rechtsprechung, und die ist erschreckend. „Minder schwer“ kann die Tat zum Beispiel dann sein, wenn sich Täter und Opfer – und sei es noch so flüchtig – kannten und der Täter aufgrund dieses Umstandes oder des konkreten Verhaltens der Frau, mit einer geschlechtlichen Vereinigung rechnen konnte. Im Klartext: Eine Einladung in die Wohnung oder ein gemeinsamer Waldspaziergang kann dem Opfer als „leichtfertige Selbstgefährdung“ ausgelegt werden, es habe dem Täter – das ist unausgesprochene Psychologie – quasi das Versprechen eines sexuellen Kontaktes gegeben, der Täter hat dann die Situation aufgrund des Verhaltens der Frau verkannt. Motto: Was geht sie auch mit ihm in den Wald! Um einen „minder schweren“ Fall zu begründen, wird auch gerne auf die äußere Erscheinung des Opfers oder auf sein sexuelles Vorleben Bezug genommen, besonders dann, wenn die Frau als Prostituierte arbeitet. Kurzum – die Konstruktion des minder schweren Falles führt im Prozeß zu opferbeschuldigenden Strategien seitens der Verteidiger des Täters; Strategien, die hemmungslos auf ein pornografisches Motiv zurückgreifen: Sie hat zwar nein gesagt, meinte aber ja. Die Gesetzentwürfe von SPD und Bundesrat behalten den im zynischen Volksmund als „Minirockparagraphen“ bezeichneten Absatz zwei bei. Die Entwürfe von Grünen und PDS aber wollen die ersatzlose Streichung des minder schweren Falles. Da 48,6 Prozent der Frauen, die ein Verfahren durchgemacht haben, heute keine Anzeige mehr erstatten würden, weil der Prozeß für sie aus den oben erläuterten Gründen schier unerträglich war, wollen die Bündnisgrünen und die PDS die Prozeßsituation für das Opfer verbessern. Fragen nach dem sexuellen Vorleben des Opfers sollen unzulässig sein und dem Beweisverwertungsverbot unterliegen. Der Täter soll während der Vernehmung des Opfers auf dessen Antrag aus dem Sitzungszimmer verwiesen werden können. Nur so hoffen sie, die Anzeigebereitschaft vergewaltigter Frauen zu fördern und der unvergleichbar hohen Dunkelziffer dieser Straftat entgegenzutreten.

Umstritten ist die Einführung einer sogenannten „Versöhnungsklausel“, die die Möglichkeit eröffnet die Strafe zu mildern oder auszusetzen, wenn dies im Interesse der Aufrechterhaltung ehelicher (oder eheähnlicher, wie einzig die SPD hinzufügt) Beziehungen geboten ist. Hierin sind sich Bundesrat, SPD und die Union einig, einzig die Bündnisgrünen und die PDS sind strikt gegen die Einführung einer solchen Klausel. Und an dieser Stelle liegt das wohl größte Problem der bevorstehenden Reform, denn hier steht als zu schützendes Rechtsgut das sexuelle Selbstbestimmungsrecht der Frau dem Erhalt der Ehe gegenüber, beide grundgesetzlich verankert.

Versöhnungsklausel

Durch Einführung dieser „Versöhnungsklausel“ will man die Eheleute vor den Folgen schützen, die entstehen, wenn der Ehemann mindestens zwei Jahre im Gefängnis ist. Man denkt da nicht nur an den Erhalt der Verbindung zwischen Frau und Mann, sondern auch an Kinder und Unterhaltsverpflichtungen, denen der Mann im Gefängnis nicht mehr nachkommen kann. Die Bündnisgrünen werden hier nicht mitdiskutieren: Sie sind strikt gegen die „Versöhnungsklausel“, die ihrer Ansicht nach mit der Systematik des Strafgesetzbuches nicht vereinbar sei – eine harte Haltung, die sie damit begründen, daß durch eine solche Vorschrift, die es in keinem anderen Offizialdelikt gibt, der Druck auf das Opfer verstärkt würde. Die Gefahr der Erpreßbarkeit der Frau ist auch der Grund, warum in keinem der vorliegenden Entwürfe die Vergewaltigung als Antragsdelikt ausgestattet wird, wie es zum Beispiel in Österreich der Fall ist.

Hart ist der Entwurf der Grünen auch deshalb, weil er weder die Mindeststrafe senken noch den „minder schweren Fall“ beibehalten will. Hier gibt es keinen Spielraum: Vergewaltigung heißt Knast, mindestens zwei Jahre.

Ob damit der vergewaltigten Ehefrau geholfen ist, scheint äußerst zweifelhaft. Beläßt man es bei der hohen Mindeststrafe, wie es bündnisgrüne Feministinnen fordern, so müßte es für die in Beziehungen lebenden Opfer und Täter die Möglichkeit der Einigung geben, ihre Beziehung fortzusetzen. Denn hier sollte der Staat sich zurückziehen, um die letzte Entscheidung den Partnern zu überlassen. Gefängnis um jeden Preis dürfte der denkbar ungeeignetste Weg sein, sexuelle Gewalt in Beziehungen zu vermeiden.