■ Offene Türen für den Dalai Lama
: Dringend nötige Wunder

Selten ist in Bonn der Repräsentant eines anderen Landes innerhalb so kurzer Zeit vom sorgfältig gemiedenen Ärgernis zum gefragten Gesprächspartner mutiert: Noch letztes Jahr weigerte sich Außenminister Kinkel, mit dem Dalai Lama überhaupt zu sprechen. Diesmal standen dem geistigen und weltlichen Oberhaupt der Tibeter die Türen des Ministerbüros offen. Selbst Fraktionschef Schäuble lud den Gast zu einem Gespräch, und auch die Anhörung des Bundestages zur Lage in Tibet kann endlich stattfinden.

Der Schritt nach vorne, den das Auswärtige Amt jetzt offiziell bestreitet, erfolgt vergleichsweise spät: Andere westliche Regierungschefs, darunter Bill Clinton, haben den Dalai Lama längst empfangen und seine unbestreitbaren Ansprüche damit gewürdigt. Aber gerade in den vergangenen zwei Jahren schob die deutsche Außenpolitik die Menschenrechtsfrage gern beiseite, weil weder der Besuch Kohls in Peking noch der von Li Peng in der Bundesrepublik (und natürlich auch nicht die erhofften Exportgeschäfte) gefährdet werden sollten. Vor allem aber wollte man jene Pekinger Regierung nicht vor den Kopf stoßen, deren Zustimmung zum ständigen deutschen Sitz im Sicherheitsrat der UNO nun mal nötig ist. Das „Wunder“ der Gesprächsbereitschaft, von dem Bundestagsvizepräsidentin Antje Vollmer beim Empfang für den Gast sprach, mußte lange vorbereitet werden: Petra Kelly hatte Ende der achtziger Jahre die erste Bonner Tibet-Anhörung initiiert, seither übten eine Gruppe von Abgeordneten und die Öffentlichkeit ständig Druck auf die Regierung aus, sich gegenüber Peking für die Rechte der Tibeter einzusetzen.

Auch „Wunder“ aber müssen sich dem politischen Kalkül unterordnen, und das heißt in diesem Fall: Die Bundesregierung versucht, dem eigenen hohen Anspruch als Vertreter der Menschenrechte zu einem Zeitpunkt gerecht zu werden, da Schritte zur Umsetzung dieses Anspruchs möglichst wenig kosten – vor der Sommerpause. Die Hoffnungen auf einen ständigen deutschen Sitz im Sicherheitsrat können im Moment nicht sehr groß sein, wenn Kinkel den Konflikt mit Peking riskiert.

Der Respekt, den deutsche Menschenrechtler dem Dalai Lama entgegenbringen, gilt vor allem dem Pazifisten in der Gandhi-Nachfolge, der seine Ziele mit Gewaltlosigkeit, Gesprächsangeboten und öffentlichem Druck verfolgt. Offensichtlich halten Pekinger Politiker diese Mittel für so gefährlich, daß sie sich weigern, mit dem Dalai Lama überhaupt zu sprechen. Die Bundesregierung zum Anwalt des tibetischen Gesprächsangebots zu machen muß deshalb das nächste Ziel sein. Hans Monath