Windmüller im Dschungel

Windkraft boomt in Brandenburg und schafft Arbeitsplätze in Berlin / Vogelfreunde kritisieren Propeller / „Es besteht enormer Forschungsbedarf“  ■ Von Lars Klaaßen

Super-GAU oder Treibhauseffekt? Diese Wahl möchte sich wahrscheinlich jeder ersparen. Deshalb wird der Ruf nach umweltschonenden Energiequellen jenseits von Atomkraft und fossilen Rohstoffen immer lauter. Die Alternative: Windkraft. Brandenburg hat sich in den letzten Jahren zur Boom-Region für Öko-Strom dank Propeller entwickelt. Produziert und geforscht wird in Berlin.

„Unter den deutschen Binnenländern liegt Brandenburg auf Platz zwei“, freut sich Andreas Eichler, Landesvorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Windenergie (DGW) in Berlin-Brandenburg und Mitarbeiter am Fachgebiet Windenergie der Technischen Universität Berlin. In den letzten fünf Jahren wurden dort 81 Windanlagen mit einer installierten Leistung von insgesamt über 22 Megawatt (MW) erbaut. Die Windräder schießen aus zwei Gründen wie Pilze aus dem Boden, weiß Eichler: „Zum einen gibt es in den Küstenregionen zunehmend Genehmigungsprobleme, weil da jeder hin möchte.“ Andererseits sei der Weg ins Binnenland erst durch technische Verbesserungen lukrativ geworden.

Standorte im Landesinneren stellen die Windmüller vor Probleme, die an der Küste nicht auftreten: Einerseits fordert die häufiger wechselnde Windrichtung verstellbare Anlagen, wenn die Naturressourcen optimal genutzt werden sollen. Außerdem sinkt die Windgeschwindigkeit mit dem Abstand zum Meer. „Das senkt die Erträge im Vergleich von der Küste zu Brandenburg etwa um die Hälfte“, schätzt Dirk Ehlert vom Berliner Windkraftanlagen-Hersteller Südwind. Doch das Geschäft lohnt sich dank der gesteigerten Anlagenkapazitäten auch hier noch. Lag die Durchschnittliche Leistung pro Windkraftanlage 1989 noch bei knapp 150 Kilowatt (kW), waren es 1994 bereits über 350 kW.

Das Stromeinsparungsgesetz verpflichtet die Energie-Dienstleistungsunternehmen dazu, den von den Windanlagen produzierten Strom für gut 17 Pfennig pro Kilowattstunde (kWh) abzunehmen. Zum Vergleich: Die staatlich subventionierte Kohle kostet die Unternehmen rund 10 Pfennig pro Kilowattstunde.

Gegenüber der Sonnenstromnutzung hat die Windkraft einen Vorteil. „Die Energie, die verbraucht wird, um eine Windkraft- Anlage zu bauen, ist durchschnittlich schon nach vier Monaten von dieser Anlage wieder erzeugt worden“, erläutert Eichler. Bei Photovoltaik, betont der DGW-Landesvorsitzende, sei dieses Verhältnis wesentlich schlechter. Er führt noch weitere Vorzüge an: „Die Verfügbarkeit der Anlagen liegt bei rund 98 Prozent.“ Das heißt, Betriebsausfälle sind äußerst selten. Ob der Wind mitspielt, ist damit allerdings noch nicht gesagt.

Die Windräder werden willkürlich genehmigt

Windstille ist allerdings nicht das einzige Problem, mit dem sich potentielle Windmüller auseinandersetzen müssen. Die Windräder sind nämlich genehmigungspflichtig, sobald der Rotordurchmesser 2,5 Meter und die Nabenhöhe 6 Meter überschreitet. Planungshoheit haben die Gemeinden. „Dort herrscht oftmals eine regelrechte Nichtgenehmigungs-Willkür“, klagt Ehlert. Die Grundlagen zur Genehmigung, so der Südwind-Mann, seien umstritten. Im Bundesbaugesetz ist geregelt, daß der „ungeplante Außenbereich“ geschützt werden soll. Ausnahmen bilden unter anderem jedoch Einrichtungen, die der öffentlichen Versorgung mit Strom dienen. Damit sind vor allem Stromleitungen gemeint. Wer ein Windrad baut, muß oftmals Ausgleichsmaßnahmen schaffen, zum Beispiel Hecken oder Bäume pflanzen.

Wer drei Anlagen baut, hat damit einen Windpark errichtet. Dies erfordert im Vorfeld ein Raumordnungsverfahren mit Umweltverträglichkeitsprüfung. Ehlert: „Bis so eine Genehmigung durch ist, können ein bis zehn Jahre vergehen.“ Das ärgert die Windkraftvertreter. Die Verzögerung ihrer Vorhaben im Namen des Umweltschutzes ist für viele nicht plausibel: Nach der Feststellung der Bundesimmissionsbehörde werden je Kilowattstunde 1,14 Kilogramm Kohlendioxid in die Atmosphäre gebracht, allein im deutschen Raum sind das 12 Tonnen pro Person“, argumentierte Gerd Otto vom Berliner Inginieurbüro Aerogie anläßlich des vierten Windenergietages 1995 in Berlin. Kritik von Naturschützern, die Propeller seien gefährlich für Vögel und Insekten, wird von den Windmüllern energisch zurückgewiesen.

Schöner als ein Kraftwerk sind Windräder sowieso

Ein weiterer Streitpunkt ist die Frage nach der optischen Beeinträchtigung durch Windräder: „Wildes Bauen hat dazu beigetragen, das die Anlagen verstärkt auf Akzeptanzprobleme stoßen“, gibt Eichler zu bedenken. Maßvolle Flächennutzungspläne, hofft er, könnten hier Abhilfe schaffen, ohne die Windkraft zu verdammen. Jürgen Przesdzing, Ingenieur des gemeinnützigen Betriebes Atlantis, der vom Bezirk Kreuzberg gegründet wurde, hält die Diskussion für eine vorübergehende Zeiterscheinung: „Der Anblick von Windkraftanlagen ist eine reine Gewöhnungssache.“ Über das Aussehen von Kraftwerken und Hochspannungsleitungen werde auch nicht mehr debattiert.

Atlantis braucht sich mit solchen Problemen allerdings erst gar nicht auseinanderzusetzen. Der Betrieb stellt ohnehin nur kleine Anlagen her, die nicht zur Stromerzeugung großen Stils auf die grüne Wiese gesetzt werden. Windräder von Atlantis stehen unter anderem in Neukölln zur Beleuchtung eines Abenteuerspielplatzes und in der Antarktis an einer Forschungsstation. Auch einige Schulen haben kleine Windräder errichten lassen, um die Schüler an die neue Umwelttechnik heranzuführen. Eine Besonderheit im Atlantis-Angebot sind sogenannte Hybrid-Anlagen, eine Kombination von Windkraft und Sonnenenergie. Die Geräte wurden in Zusammenarbeit mit der TU Berlin entwickelt.

Die TU forscht auch anderweitig in Sachen Windkraft: „Wir arbeiten daran, die einzelnen Komponenten der Anlagen besser aufeinander abzustimmen“, berichtet Eichler. Dadurch soll die Lebensdauer der Rotoren erhöht werden, die derzeit etwa 20 Jahre beträgt. Ein weiterer Forschungsschwerpunkt ist die Entwicklung der sogenannten Off-shore-Technologie. Riesige Windkraftanlagen sollen im Meer installiert werden. In bis zu 30 Kilometer Entfernung von der Küste sollen sie besonders hohe Kapazitäten erreichen. Erste Anlagen existieren bereits. „Technisch sind bei der Windkrafterzeugung noch keine Grenzen absehbar“, so Eichler. In den nächsten Jahren besteht also noch enormer Forschungsbedarf, um die Anlagen noch effizienter zu machen.

Für die Industrie ist Windkraft ebenfalls eine Wachstumsbranche: Nicht nur die Hersteller der Windkraftanlagen, auch die Zulieferindustrie kann hier Arbeitsplätze sichern. Die Anlagen sind vor allem Produkte des Maschinenbaus und der Elektrotechnik. Speziell in diesen Bereichen kaufen europäische Hersteller zu 60 bis 80 Prozent deutsche Komponenten. Auch in Berlin werden einzelne Teile gefertigt. Siemens zum Beispiel produziert hier Kabel, Leitungen und Mittelspannungsanlagen für Windkraftanlagen.