■ Das Portrait
: Ausgezeichnete Orientalistin

Die alte Dame steht neben dem Rednerpult und erzählt. Zwei Stunden lang spricht sie ohne Manuskript von ihren Reisen durch den Nahen Osten, durch Afrika, Pakistan und Indien und von ihrem Lehrstuhl an der Theologischen Fakultät der Universität in Ankara. Fehlerfrei ausgesprochen, streut sie arabische, persische und türkische Zitate ein. – Eine Vorlesung bei Professorin Dr. Annemarie Schimmel wird leicht zur Erzählstunde. In einer einmaligen Mischung aus Eloquenz und Schrulligkeit vermittelt die Grande Dame der deutschen Orientalistik ein eindrückliches Bild des Islam. In dieser Stimmung wird es lächelnd hingenommen, wenn sie zum Beispiel sagt, daß sie in der Religion keine Tendenz zur Diskriminierung von Frauen sieht.

„Ich lebe eine Liebesgeschichte zwischen mir und dem Orient“, hat die inzwischen 73jährige einmal gesagt. Schon mit 15 Jahren hat Annemarie Schimmel in Erfurt angefangen, Arabisch zu lernen. Sie lehrte in Marburg und Bonn, in Harvard hat sie eine Professur für Indomuslimische Kultur. Als Konsequenz ihrer Liebe konvertierte Schimmel selbst zum Islam. Ihre größte Zuneigung gilt den großen Mystikern der Religion, wie Mevlana Celattin Rum, der im 13. Jahrhundert im türkischen Konya lebte. Weit weniger interessierte sie sich für aktuelle politische Ereignisse. Für ihre Versuche, Orient und Okzident einander näherzubringen, erhielt sie zahlreiche Auszeichnungen. Im pakistanischen Lahore ist ein Boulevard nach ihr benannt. In Deutschland erhielt Schimmel 1991 das Bundesverdienstkreuz erster Klasse.

Annemarie Schimmel Foto: Markus Kirchgässner

Am Donnerstag teilte der Börsenverein des Deutschen Buchhandels mit, daß Annemarie Schimmel im Oktober den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erhalten wird. Gerade aus dem Iran zurückgekehrt, saß sie dann am Abend zugeschaltet bei Ulrich Wickert in den Tagesthemen. Der fragte sie natürlich auch nach ihrer Meinung zum Mordaufruf des iranischen Revolutionführers Chomeini gegen den Schriftsteller Salman Rushdie. Eine Morddrohung sei „natürlich immer etwas Gräßliches“, meinte die alte Dame. Jedoch habe sie auch gesehen, „wie erwachsene Männer geweint haben, als sie erfahren haben, was in den Satanischen Versen steht. Und das ist nach meiner Meinung auch eine sehr üble Art, die Gefühle einer großen Menge von Gläubigen zu verletzen.“ Thomas Dreger