Im virtuellen Kriegsfieber immer wieder der Sieger

In Trivialromanen und Comics führt Japan den Zweiten Weltkrieg noch einmal – und frisiert so große Niederlagen in Erfolge um  ■ Aus Tokio Chikako Yamamoto

Die japanische Armee ist stark, tapfer und gut ausgerüstet. Sie kämpft mutig gegen den Westen und kennt dabei weder Nationalismus noch Fanatismus. Kamikazeartige Aktionen kommen schon gar nicht in Frage. Statt dessen beweisen eine besonnene Armeeführung und vernünftige Politiker, daß Japan nicht für die eigene Nation, sondern für den Weltfrieden kämpft.

Die Helden dieses erdachten Krieges finden sich zu Hunderten wohlsortiert in jedem japanischen Buchladen: „Deep Blue Fleet“ heißt das bekannteste Werk, eine Bücherserie von Yoshio Aramaki, die sich bereits seit fünf Jahren auf den Bestsellerlisten hält. Unter Aramakis Kommando führt dort Japan den Zweiten Weltkrieg noch einmal: Held des Romans ist Admiral Isoroku Yamamoto, der in der wirklichen Geschichte widerwillig den Angriff auf Pearl Harbor befehligte und nun im zweiten Versuch die Lehren aus den Fehltaten der japanischen Militärs zieht.

Statt blind zu gehorchen, putscht Yamamoto unter seinem neuen Romannamen Takano gegen die Tokioter Regenten und setzt daraufhin einen weitsichtigen Premierminister ein. Die beiden wollen zwar auch einen großen asiatischen Lebensraum errichten, wie es die Militärregierung in Tokio damals proklamierte, doch verzichten sie auf brutale Invasionsakte und häßliches Kolonialherrentum. Vielmehr befreit Japan unter ihrer Führung nun die asiatischen Nachbarländer vom Joch der westlichen Kolonialmächte und gibt ihnen die ersehnte Souveränität zurück. Der Weltfrieden rückt näher.

Aramakis Bücher haben inzwischen eine Auflage von mehr als vier Millionen erreicht. Aus der gleichen Serie erschienen bereits Comics und Videofilme. Die Leser sind überwiegend junge Männer in den Zwanzigern. Der Verlag Tokuma ist deshalb zuversichtlich: „Aramakis Leser gehören zu einer Generation, die mit konventionellen Romanen nichts mehr anfangen kann und bereits mit Computerspielen groß geworden ist. Auf diese Generation übt der Simulationsroman eine besondere Faszination aus.“

So haben Aramakis Erfolge bereits in den achtziger Jahren einen neuen literarischen Gattungsbegriff geschaffen: den Kriegssimulationsroman. Wie Computerprogramme, die unter bestimmten Vorgaben neu programmiert werden, wird hier die Kriegsgeschichte umgeschrieben. In Aramakis Büchern geht es etwa darum, wie sich ein simulierter Machtzuwachs von Admiral Yamamoto auf den weiteren Kriegsverlauf ausgewirkt hätte – eines von vielen hundert neuen Szenarien.

Mal kämpfen die Japaner gegen das Dritte Reich, nachdem sie vorzeitig mit den Vereinigten Staaten von Amerika einen Friedensvertrag unterschrieben haben. In „Das Kriegsschiff Yamato – unbesiegbar!“ von Trivialautor Tsuneo Tani gebärden sich Amerikaner und Engländer zu kraftlos und unentschieden, um die starke Hitler- Truppe zu schlagen. Da eilen die tapferen Japaner mit dem Kriegsschiff Yamato nach Europa und gewinnen für sie den Krieg.

In einem anderen Buch greift Japan sogar England an. Noch eine Geschichte erzählt von einem riesigen Superpanzer, mit dem das japanische Heer in der Mandschurei die Rote Armee besiegt. Trotz solch unterschiedlicher Handlungsorte und Figuren haben die Bücher eine Gemeinsamkeit: Die Japaner siegen immer.

Manche Bücher beschreiben fast ausschließlich Kriegshandlungen. Es wird geschossen und gefeuert, sonst passiert nichts. Frauen kommen in vielen Romanen kaum vor. Dagegen spielen Männer gerne Machohelden und sind im Zweifelsfall bereit, ein Konzentrationslager zu erstürmen, um eine hübsche Widerstandskämpferin zu retten.

Der Bestsellerautor Aramaki möchte mit den übrigen Kriegsschreibern freilich nicht in einen Topf geworfen werden: „Meine Geschichte wird als Kriegsspiel interpretiert, weil ich zufällig über den Zweiten Weltkrieg schreibe. Aber das ist ein Mißverständnis. Ich entwerfe ein weltpolitisches Strategiespiel, dessen Ziel für jeden Leser die Vorstellung vom ewigen Friedens sein soll.“

Aramakis Bemühungen lassen sich in seinen meistverkauften Romanen wiederfinden. Ganz besessen ist der Autor von der Frage, weshalb Japan nicht eine Art Schweiz in Asien werden konnte. Aramaki liefert populäre Schlußfolgerungen: Nachdem sich Japan 200 Jahre lang von der Außenwelt abkapselte, gewann das Land um die letzte Jahrhundertwende Kriege gegen China und Rußland. Der Sieg über zwei traditionelle Großmächte begründete ein bald überzogenes Selbstvertrauen des Staates und machte Deutschland zum Vorbild. Deshalb wagte das unerfahrene Land später den Krieg gegen die USA, obwohl von Anfang an klar war, daß Japan keine Siegeschance besaß. Dagegen macht Aramaki seine Leser glauben, daß Japan ohne die Kriege gegen China und Rußland womöglich den neutralen Weg der Schweiz gegangen wäre.

Wichtigstes Thema in Aramakis Büchern aber ist das Verhältnis zu Amerika. Was nämlich Asien betrifft, so räumt der Autor gerne ein, daß Japan dort schweres Unheil angerichtet habe. Hingegen läßt Aramaki immer wieder argwöhnen, daß die USA in Wirklichkeit den Krieg mit Japan beabsichtigt und sogar den Angriff auf Pearl Harbor provoziert hatten. Aramakis in Japan noch heute weitverbreitete Erklärung lautet: Der damalige US-Präsident Roosevelt wollte England im Krieg gegen Deutschland helfen. Weil aber die Mehrheit der Amerikaner dagegen war, brauchte er einen plausiblen Grund, um am Krieg teilzunehmen. Den lieferte dann Japan.

Aramaki bestreitet nicht, daß solche Gedanken zum Geschichtsrevisionismus gehören. Yutaka Yoshida, Assistenzprofessor an der Hitotsubashi-Universität in Tokio, erkennt in Aramakis Büchern eine „antiamerikanische Geschichtsinterpretation“. Doch die mißtrauische Haltung gegenüber den USA ist keineswegs Aramakis Monopol.

In der Welt der Mangas, Japans florierender Comicszene, gibt es eine ähnlich populäre Kriegsserie: „Flotte des Schweigens“ von Kaiji Kawaguchi. Darin wird ein Atom- U-Boot, das die USA und Japan heimlich gemeinsam gebaut haben, vom japanischen Kapitän zum unabhängigen Territorium erklärt. Die amerikanische Armee greift das U-Boot von nun an vergeblich an, während die Japaner dem Boot helfen. Das führt zum offenen Krieg zwischen Amerika und Japan. Nippons jüngere Politiker und Bürokraten, die nicht mehr über eigene Kriegserfahrungen verfügen, erweisen sich darin als kompromißlos gegenüber den USA, derweil sich das U-Boot einer UNO-Armee anschließt, um zum Weltfrieden beizutragen.

Die Serie Kawaguchis, die sich zwar nicht unmittelbar mit den Ereignissen des Zweiten Weltkriegs beschäftigt, aber alles, was ihm in Japan folgte, in Frage stellt, wurde schnell zum Politikum. Politiker und Soldaten fanden an den Comics Gefallen. Im Parlament diskutierte man, ob Japan in Zukunft eigene U-Boote entwickeln solle.

Öffentliche Kritik an den Kriegssimulationen in Büchern, Comics und Computerspielen gibt es bislang nur, wenn bestimmte Grenzen überschritten werden. Das war der Fall, als kürzlich im Computerspiel „Entscheidung des Admirals“ ein Szenario entwickelt wurde, in dem kampfmüde Soldaten ein „comfort“-Programm erwartet, das sie auf dem Bildschirm mit Prostituierten versorgt. Das Wort „comfort“ erinnerte an die sogenannten „comfort women“ aus Korea und anderen Ländern, die im Krieg von den japanischen Soldaten systematisch mitgeschleppt und täglich vergewaltigt wurden.

Jedenfalls steht das weitverbreitete Interesse an Kriegsspielen in Japan in keinem Verhältnis zur Solidarität mit den wirklichen Opfern des Kriegs, die sich seit Ende des Kalten Kriegs überall in Asien wieder zu Wort meldeten. Von den „comfort women“ über chinesische Zwangsarbeiter bis zu Überlebenden des Massakers auf den Philippinen – alle fordern sie heute Entschuldigungsgesten und Entschädigung von der japanischen Regierung. Doch das Problem erscheint für die meisten Japaner eher außenpolitischer Natur zu sein.

Offizielle Entschuldigungsworte zum Zweiten Weltkrieg kamen zum ersten Mal 1993, als der damalige Premierminister Morihiro Hosokawa wagte, sich als erster japanischer Regierungschef für „Aggressionskrieg und Kolonialherrschaft“ im Parlament zu entschuldigen. Nach dem Rücktritt Hosokawas vertraten zwar auch die folgenden Regierungschefs Tsutomu Hata und Tomiichi Murayama diese Position. Aber immer wieder gab es Widerstände und Zwischenrufe von Amtskollegen. Zwei Minister mußten bereits im vergangenen Jahr zurücktreten. Erst im März wiederholte Seisuke Okuno, der schon vor Jahren für ähnliche Äußerungen einen Ministerposten räumen mußte, das sonst nur außerhalb des offiziellen Japan, in Büchern und Comics wiederkehrende Credo: „Der große ostasiatische Krieg wurde ausgetragen, um Asien vor dem weißen Mann zu retten. Wir führten den Krieg nicht gegen asiatische Länder, sondern gegen Amerika und Großbritannien, wobei es die USA waren, die die größeren Kriegsverbrechen begingen.“

Mehr als 200 Abgeordnete der Liberaldemokraten – fast zwei Drittel aller Parlamentsmitglieder der größten Regierungspartei – haben sich inzwischen der Gruppe Okunos angeschlossen. Sie will eine geplante Kriegsschulderklärung des Parlaments im 50. Gedenkjahr der japanischen Kapitulation mit allen Mitteln verhindern.

Doch dürfte der Geschichtsstreit auf der politischen Bühne nur bis zu den Jahrestagen im August anhalten. Danach wird man die populären Geschichtswelten der Japaner wieder nur unter der fürs Ausland sichtbaren Oberfläche, bei Autoren wie Aramaki und Kawaguchi, entdecken können.

Bestsellerautor Aramaki findet es heute schon gefährlich, wie die USA und Japan miteinander umgehen. Einen zweiten Krieg zwischen beiden Ländern will er partout nicht ausschließen. Nur ein Rat, wie der zu verhindern wäre, fällt dem Autor so vieler Kriegssimulationsromane nicht mehr ein.