Moskau feiert den gerechten Sieg

■ Die Militärparade zum 50. Jahrestag der Niederlage Nazi-Deutschlands geriet zum Volksfest / Veteranen marschierten über den Roten Platz / Kohl mahnte bei Jelzin Ende des Tschetschenien-Krieges an

Moskau (taz) – Bei strahlendem Sonnenschein und guter Laune strömten zigtausend Schaulustige über Moskaus Kutusowskij-Prospekt Richtung Poklonnaja Gora, dem Schauplatz der Militärparade zum 50. Jahrestag des Sieges über Hitler- Deutschland. Staatschefs aus dem Westen, die zu Beginn der Feierlichkeiten die Parade der Weltkriegs-Veteranen auf dem Roten Platz abgenommen hatten, blieben der Veranstaltung aus Protest gegen das russische Vorgehen in Tschetschenien fern. Rußlands Führung war unter sich. Verteidigungsminister Gratschow beschwor eingangs die Schlagkraft der russischen Armee: „Unsere Streitkräfte sind in Kampfbereitschaft, unter Kontrolle und bereit, den Staat zu verteidigen“, meinte Gratschow, der im Kaukasus das Renommee seiner Armee fast völlig ruiniert hat. Die Parade war die erste seit den Feiern zum 45. Jahrestag des Kriegsendes 1990. Eine Militärparade fand auch in der tschetschenischen Hauptstadt Grosny statt.

Gratschow nutzte die Chance, um der unzufriedenen Generalität einige Verheißungen zu machen und dem Westen etwas mehr Respekt abzunötigen: „Die militärische und politische Lage und die nationalen Interessen Rußlands verlangen, daß wir eine hohe militärische Einsatzbereitschaft erhalten.“ An der Parade nahmen Panzerstaffeln, Spähwagen und anderes Kriegsgerät teil. Je größer es war, mit desto lauterem Hallo begrüßten es die Besucher.

Erstaunlich viele Jugendliche hatten sich auf den Weg gemacht, für sie hatte die Parade eher Volksfestcharakter. Der Sowjetschmuck am Straßenrand, rote Banner mit Hammer und Sichel, ruft in ihnen keine Emotionen mehr hervor: „Laß uns mal zu der Demo der Kommunisten rübergucken, die sind bestimmt schon wieder am Grölen“, meinte ein Zwanzigjähriger. Die ältere Generation war eher spärlich vertreten. Die Opposition aus Kommunisten, Nationalisten und Antisemiten feierte auf ihre Weise. Etwa 12.000 zogen zur Lubjanka, dem Hauptquartier des ehemaligen KGB.

Am Morgen hatte Präsident Jelzin mit Englands Regierungschef John Major gesprochen. Jelzin warnte, die Nato-Erweiterung nicht zu überstürzen. US-Präsident Bill Clinton legte einen Kranz am Grab des unbekannten Soldaten nieder. Am selben Ort gedachten Helmut Kohl und Klaus Kinkel der Toten des Zweiten Weltkrieges. Das Grab stehe symbolisch für Hunderttausende gefallener Soldaten, sagte der Kanzler. Im Unterschied zu Clinton und Major hatte Kohl nicht an der Parade auf dem Roten Platz teilgenommen.

Kohl und Kinkel legten auch auf dem deutschen Soldatenfriedhof im Moskauer Vorort Lublino einen Kranz nieder. Mit einem evangelischen und einem katholischen Geistlichen beteten sie gemeinsam mit Familienmitgliedern der hier beerdigten Soldaten das Vaterunser. Anschließend unterhielt sich Kohl mit den Beifall klatschenden russischen Besuchern.

Während eines 45minütigen Treffens habe Kohl Jelzin aufgefordert, den Krieg in Tschetschenien zu beenden, sonst riskiere er einen Konflikt mit dem Westen, verlautete aus Kreisen der deutschen Delegation. In seiner kurzen Ansprache im Kreml fand Kohl den richtigen Ton und verzichtete auf Belehrungen: „An die nachwachsenden Generationen müssen wir die alles entscheidende Lehre aus der Barbarei dieses Jahrhunderts weitergeben: Friede beginnt mit der Achtung der unbedingten und absoluten Würde des einzelnen Menschen in allen Bereichen seines Lebens.“ Klaus-Helge Donath

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