Kinkel spielt mit Atombomben

Manche Unterzeichnerstaaten des Atomwaffensperrvertrags zweifeln am Ernst der deutschen Verzichterklärungen  ■ Von Andreas Zumach und Niklaus Hablützel

New York/Berlin (taz) – „Deutschland ist der beste Beweis, daß die Absage an atomare Waffen keinen Nachteil bedeutet. Wir haben in dieser Hinsicht keine Privilegien zu verteidigen und die Absage an alle Massenvernichtungsmittel schon vor langer Zeit vollzogen. Es kann keinen Zweifel geben, daß diese Entscheidung endgültig ist.“

Starke Worte von Außenminister Kinkel zum Auftakt der Konferenz über die Verlängerung des Atomwaffensperrvertrages (NPT). Doch blieben bei manchen der 177 Vertragspartner Zweifel. Unter anderen äußerten die Vertreter Mexikos, Venezuelas, Nigerias, Indonesiens und Irans in New York den Verdacht, die Nato-Politik der „nuklearen Teilhabe“, die insbesonders für Deutschland gilt, verstoße gegen Artikel 1 und 2 des NPT. Darin verpflichten sich die Unterzeichenerstaaten eindeutig und ohne Ausnahme, „Kernwaffen und sonstige Kernsprengkörper oder die Verfügungsgewalt darüber an niemanden unmittelbar oder mittelbar weiterzugeben“ oder „von niemandem unmittelbar oder mittelbar anzunehmen“.

In fünf westeuropäischen Nato- Staaten sind Atomwaffen der USA stationiert – die meisten davon in Deutschland, das 1975 nach erheblichen Widerständen der damaligen CDU/CSU-Opposition nur unter Vorbehalten dem NPT beitrat. Die deutsche Armee ist mit Flugzeugen und anderen Trägersystemen ausgerüstet, die mit US- Atomwaffen bestückt werden können. Diese einst von der Sowjetunion akzeptierte „nukleare Teilhabe“ wird heute sogar ausgebaut: Die „konzeptionelle Leitlinie zur Weiterentwicklung der Bundeswehr“ des Verteidigungsministeriums stellt im Juli 1994 fest, daß für die neuen „Krisenreaktionskräfte“ der Bundeswehr „schnell einsetzbare und verlegefähige Kräfte vorgehalten werden“, darunter „in der Luftwaffe sechs fliegende Staffeln für Luftangriff, Luftverteidigung, Aufklärung und nukleare Teilhabe“. Im August 1994 folgte eine nähere Erläuterung aus der Hardthöhe: „Nukleare Teilhabe“ bedeute „eine breite Teilhabe in die kollektive Verteidigungsplanung involvierter europäischer Bündnispartner an nuklearen Aufgaben“. Dabei solle „eine begrenzte Anzahl von Tornado-Flugzeugen dem Nato- Bündnis zur Verfügung stehen“.

Den Verdacht, damit werde der Sperrvertrag verletzt, wiesen die Delegationen Deutschlands, der USA und anderer Nato-Staaten in New York als „völlig unbegründet“ zurück. Ihr Argument: Keine Atomwaffen würden damit endgültig in den Besitz oder die Kontrolle von Nicht-Atomwaffenstaaten übergehen. In Hintergrundgesprächen räumte der Delegationsleiter eines der drei größten Nato- Staaten ein, daß diese Interpretation keineswegs Konsens ist. Merkwürdig zudem die Verweise Deutschlands und der USA auf die „interpretierenden Erklärungen“ der damaligen US-Regierung, die dem US-Senat und dem Deutschen Bundestag anläßlich der Ratifizierung des NPT durch die USA (1970) und durch Deutschland (1975) zur Kenntnis gebracht wurden. Danach verstoße die „Weitergabe von Kernwaffen oder von Verfügungsgewalt darüber“ nur gegen den NPT, „sofern und solange nicht eine Entscheidung, Krieg zu führen, getroffen wird, in welchem Zeitpunkt der Vertrag nicht mehr maßgebend wäre“. Ausgerechnet während eines militärischen Konflikts ist das Verbreitungsverbot aufgehoben.

Auch andere Zweifel an der Qualität des „endgültigen Atomwaffenverzichts“ der Deutschen sind nicht ausgereäumt. So hält die Bundesrepublik auch beharrlich an einer atomaren Komponente im Rahmen einer künftigen, gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der EU fest. Und seit Jahren gehörten deutsche Firmen außerdem zu den wichtigsten Zulieferern der Atomwaffenprogramme Südafrikas, Brasiliens, Argentiniens, Israels und Iraks, zum Teil mit Wissen, Duldung und Förderung durch die Bundesregierung.

Mißtrauen auch bei Nato-Partnern wecken schließlich nicht zuletzt die deutschen Aktivitäten auf dem zivilen atomaren Sektor. Seit langem protestieren die USA gegen den Plan, in München einen neuen Forschungsreaktor zu bauen, der mit hochangereichertem Uran betrieben wird. Nach einem weltweiten Agreement der Wissenschaftler ist der Einsatz solchen Materials verpönt. Ein eigenes Projekt dieser Art ließen zuletzt die USA selbst fallen, das Außenministerium in Washington wies mehrmals auf die Gefahr eines unkontrollierbaren Marktes für Bombenuran hin, der dem Ziel der Nichtverbreitung von Atomwaffen widerspreche. Für die New Yorker NPT-Konferenz hatten die USA denn auch einen Vertragsentwurf vorgelegt, wonach „neue zivile Reaktoren, die hochangereichertes Uran benötigen, nicht gebaut werden“.

Damit hätte das Münchner Projekt dem NPT klar widersprochen. Mit ebenso klarem Auftrag aus Bonn schaffte es die deutsche Delegation, eine neue Fassung durchzusetzen. Der Passus besagt nun, daß „Staaten, die neue zivile Reaktoren planen, auf den Einsatz hochangereicherten Urans verzichten, soweit das unter Berücksichtigung technischer, wissenschaftlicher und wirtschaftlicher Bedingungen machbar ist“. Beobachter in New York staunten nicht schlecht. Der neue Atomwaffensperrvertrag würde damit hinter die Wissenschaftlergemeinde zurückfallen, die freiwillig auf den Verzicht von Bombenuran verzichtet hat.

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