Kapitulation vor der Geschichte

■ Die deutschen Politikbeamten machten die gestrige Einweihung des ehemaligen „Kapitulationsmuseums“ in Berlin-Karlshorst zu einer unwürdigen Veranstaltung

Berlin (taz) – Noch vor drei Jahren waren die russische und die deutsche Seite sich einig: Das ehemalige sowjetische Museum der bedingungslosen Kapitulation in Berlin-Karlshorst ist ein „historischer Ort von weltgeschichtlicher Bedeutung“. Gestern, bei der Eröffnung der von einer deutsch-russischen Expertenkommission umgestalteten Ausstellung, war von dieser weltgeschichtlichen Bedeutung nichts zu spüren. Im Gegenteil. Man hatte den Eindruck, daß dieses Haus, in dem am 8. Mai 1945 die Wehrmachtsführung ihr totales Scheitern besiegeln mußte, für die Deutschen ein Schandfleck ist. So lieblos war die Einweihungsfeier.

Denn ursprünglich wollte man das auf den neuesten Stand der Forschung gebrachte Museum, das früher eine Hommage an die siegreiche Rote Armee und eine Erziehungsanstalt für sowjetische Soldaten gewesen war, am 8. Mai eröffnen. Passend zum historischen Datum und entsprechend gewürdigt durch die Anwesenheit von Bundeskanzler Kohl. Aber daraus wurde nichts. Offiziell wegen Terminschwierigkeiten, inoffiziell, so meinen es zumindest Berliner FDP-Abgeordnete und auch Bündnis 90/Die Grünen, um die Russen wegen des Streits um die sogenannte Beutekunst unter Druck zu setzen.

Und daß diese Interpretation nicht an den Haaren herbeigezogen ist, bewies gestern der Ministerialdirigent im Innenministerium Wolfgang Bergdorf, den die Bonner als einzigen Vertreter der Bundesregierung zur Eröffnung geschickt hatten. Auch ein Zeichen von Mißachtung! Dieser Bergdorf jedenfalls verlor kein einziges Wort über die 25 Millionen sowjetischen Toten, über die verbrannten Städte und den Genozid an den sowjetischen Juden, und sagte erst recht nichts über die hohe symbolische Bedeutung, die Karlshorst für Rußland heute noch hat. Nein, seine einzige Botschaft lautete: „Wenn es möglich ist, gemeinsam ein Museum zu errichten, dann sollte es auch Möglichkeiten geben, ein Einverständnis über den Standort kriegsbedingt verlagerter Kunstgegenstände zu finden.“ Nicht nur „peinlich“, sondern geradezu „unmöglich“ empfand diese Bemerkung der äußerst aufgebrachte Berliner Kultursenator Ulrich Roloff-Momin.

Nicht viel besser hörten sich die offiziellen Grußworte des Landes Berlin an, vorgetragen vom Chef der Senatskanzlei, Volker Kähne, denn – welcher Zufall – auch der Oberbürgermeister hatte keine Zeit. Auch dieser Beamte fand keine Wort über die Opfer der Sowjetunion, sondern verlas fast wörtlich die von Hardliner Alfred Dregger favorisierte Lehre, wonach der 8. Mai als der Beginn von Vertreibungsterror und Unfreiheit im Osten zu sehen ist.

Wie müssen diese kalten Worte den sechzig Veteranen aus Rußland und der Ukraine in den Ohren geklungen haben, die vor 50 Jahren die 2.000 Kilometer von Stalingrad bis nach Berlin freikämpften und denen nur der Stolz des Sieges über Hitler geblieben ist. Eingeladen und ihre Reise bezahlt hatte die Russische Föderation. Als Geschenk an Deutschland überreichten sie ihr Symbol für Tod und Zerstörung: eine Granathülse, nicht gefüllt mit Munition, sondern mit „blutgetränkter russischer Erde“.

Höchst fraglich, ob diese Ikone einen Platz in dem neuen Museum finden wird. Denn von all dem Pathos, der Heldenverehrung, die dieses einst sowjetische Museum für deutsche Augen so unvergleichlich und auch rührend machte, ist rein gar nichts geblieben. Die taz wird noch darüber berichten, bloß soviel: Es ist politisch korrekt, didaktisch auf dem neuesten Stand. Viel Kopf und wenig Herz. Anita Kugler