Der heftige Juckreiz der Quote

■ Warum mit dem SFB-Magazin "Moskito" gleich der ganze ARD-Jugendsendeplatz eingestellt wird

Sein eigener Sohn, so ARD- Programmdirektor Günter Struve, habe die Sendung lange für „das beste gehalten, was das Deutsche Fernsehen zu bieten“ habe. Ein schwacher Trost für die beiden SFB-Redakteurinnen Meyen Wachholz und Juliane Rossius. Nach acht Jahren öffentlich-rechtlicher Jugendarbeit wird ihr Jugendmagazin „Moskito“ im kommenden Jahr ersatzlos aus dem Ersten Programm genommen.

Am Dienstag hatten die ARD- Intendanten in Baden-Baden einer Programmreform zugestimmt, die künftig ohne einen einzigen ausgewiesenen Jugendsendeplatz auskommen will. Den frühen Sonntagnachmittag werden ab 1996 die ARD-KorrespondentInnen beschicken: „Länder, Menschen, Abenteuer“ – für so was interessierten sich Jugendliche doch auch, meint Struve etwas vage. Wenn die Kids überhaupt um diese Zeit vor den Geräten sitzen.

Denn die 14- bis 19jährigen sehen vergleichsweise wenig fern. 1994 waren es gerade mal 96 Minuten täglich, wie eine Jugendstudie des WDR festgestellt hat. Die 20- bis 29jährigen halten es 117 Minuten aus, die 30- bis 39jährigen stattliche 164 Minuten und die jenseits der Fünfzig schalten praktisch gar nicht mehr ab.

Vor allem diese „Kukidents“ machen den Programmplanern Sorgen: Sie schauen praktisch immer mit. Eher selten sitzt während der ARD-Jugendsendungen neben Opa auch der zielgruppengemäße Enkel mit auf dem Sofa. Denn die altehrwürdige ARD ist bei den Jungen nicht sonderlich beliebt: Nur 9,4 Prozent der vom WDR befragten 14- bis 19jährigen gaben an, am liebsten ARD zu sehen. Das ZDF favorisieren gar nur 2,8 Prozent. Marktführer ist RTL (28,5 Prozent), hart verfolgt von Pro 7 (20,0).

Die Beliebtheit verdanken die beiden Privatsender vor allem ihrem großen Spielfilmangebot, denn das sehen die Kids am liebsten. Ihre Musikclips finden sie zuhauf bei MTV (13,2 Prozent) und Viva (12,85), die Platz drei und vier auf der Beliebtheitsskala halten. Wenn sich die Youngsters darüber hinaus noch auf andere Genres einlassen, dann auf die Daily Soaps à la „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“. Auch die ARD hat deutliche Gewinne bei den Jugendlichen erzielt, seit die „Verbotene Liebe“ auf Sendung und der „Marienhof“ durch den Jungbrunnen gegangen ist. Jugendfernsehen ist halt, wenn Jugendliche fernsehen.

Ein Magazin wie „Moskito“, das den längst vergessenen Bildungsauftrag der Öffentlich- Rechtlichen einlösen will, hat es da schwer. Diese „Mischung aus Satire, Aufklärung und Weltverbesserung“ sei doch irgendwie „nichts Klares“ gewesen, moniert der ARD-Programmdirektor, dem nachgesagt wird, ihm sei – Sohnemann hin oder her – „Moskito“ schon lange ein Dorn im Auge gewesen. Fast hat man den Eindruck, die vielen Preise, die dem SFB- Format in den letzten Jahren verliehen wurden (unter anderem „Prix Jeunesse“ und „Grimme in Gold“), würden der Redaktion nun eher als Makel angerechnet. „Sehen Sie“, so Struve schlau, „Frauensendungen müssen halt auch von Frauen gesehen werden. Sonst taugen sie nichts.“ Fernsehmachen ist halt keine Frage der Ehre, sondern der Quoten. „Moskito“ hatte 1994 bei den 14- bis 19jährigen einen Marktanteil von 14,8 Prozent. Nicht mehr, aber immerhin auch nicht weniger als im ARD-Gesamtdurchschnitt.

Natürlich will man Opas Enkel in der ARD nicht missen – im Gegenteil. Nur ist Hänschen eben viel schwerer zu becircen als Opa Hans. Vor allem das Label „Jugend“ schätzt er gar nicht. Denn Hänschen möchte gerne schon erwachsen sein und also auch als solcher fernsehen. Deshalb darf man „Kinderprogramme“ auch so nennen, Jugendprogramme aber eben nicht. Und so sollen die Kids künftig nicht mehr mit der Nase drauf gestoßen werden, daß man hinter ihnen her ist wie der Teufel hinter der armen Seele. „Experimente“ seien jetzt gefragt, erklärt Struve – es klingt wie Pfeifen im Walde.

Denn erst jüngst ist das Wagnis „Jack & Jack“ glorios in die Hose gegangen. Von der „Vor acht“- Unterhaltungsabteilung des BR als Jugendfänger konzipiert – aber nicht so benannt –, war das Magazin derart jugenduntauglich, daß es sogleich nach dem Start wieder eingestellt werden mußte. Jetzt ist am Feitag wieder Manne Krug „Auf Achse“. Das gucken die Jungen nämlich gern. Fremde Länder, Abenteuer eben.

Zu der Frage, was nun aus Meyen Wachholz und Juliane Rossius – und damit aus der SFB-Jugendredaktion – werden soll, mag sich ihr SFB-Programmdirektor Horst Schättle noch nicht äußern. Ob „Moskito“ oder eine adäquate Nachfolgereihe künftig wenistens im SFB-Dritten B 1 eine neue Heimat findet, weiß an der Masurenallee bislang niemand. Andere ARD-Anstalten halten sich ihre Jugendredaktionen immerhin auf den Dritten warm, für den Fall, daß sich die neuen Ideen aus der ARD- Zentrale in München womöglich wieder als falsch herausstellen.

Es wäre nicht das erste Mal, daß man erst triumphierend ankündigt, die Privaten nun mit ihren eigenen Mitteln zu schlagen, um kurze Zeit später dann doch wieder eine Pressekonferenz einzuberufen, wo mit schönen Worten erklärt wird, man werde sich künftig mehr auf angestammte Qualitäten besinnen. So geschehen mit den abendfüllenden Auslandsreportagen, die lange als zu sperrig und quotenuntauglich galten und nun bei der ARD wieder mit viel Geld und den besten Sendeplätzen hofiert werden. Soviel zum Thema „Fremde Länder, Abenteuer“. Klaudia Brunst