Ab Dresden nur mit der S-Bahn

Nach langem Tüfteln und Kartenlesen ein Gemisch aus Naturgenuß und Mißerfolg: Mit dem Fahrrad von Schöna an der deutsch-tschechischen Grenze zur Hansestadt Hamburg  ■ Von Reinhard Kuntzke

In Schöna an der deutsch-tschechischen Grenze waren wir gestartet. Die S-Bahn brachte uns und unsere Drahtesel in knapp einer Stunde von Dresden elbaufwärts durch die Sächsische Schweiz zum Ausgangspunkt. Zehn Tage hatten wir eingeplant, um entlang der Elbe die Hansestadt Hamburg zu erreichen.

Einen durchgängigen Radwanderweg am Strom gibt es noch nicht. Erst in einigen Jahren soll der internationale Radfernweg fertig sein, der dann abseits des motorisierten Verkehrs die tschechische Metropole Prag entlang von Moldau und Elbe mit Hamburg verbinden wird. So mußten wir lange tüfteln und viele Karten studieren, um eine schöne und verkehrsarme Route zu finden.

Am nützlichsten für die Planung hat sich die ADFC-Radtourenkarte herausgestellt. In 27 Einzelblättern gibt der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club dieses Kartenwerk im Maßstab 1:150.000 flächendeckend für die Bundesrepublik Deutschland heraus. Im Gegensatz zu normalen Autokarten sind auf den ADFC-Blättern die kleinen Straßen, die Wirtschafts- und Forstwege farblich betont, während die Rennpisten des motorisierten Verkehrs kartographisch unterdrückt werden. Spezielle Signaturen informieren zusätzlich über die Weg-Beschaffenheit.

Für die erste Etappe von Schöna nach Dresden konnten wir die Karte sogar in der Radtasche lassen. Denn im tief eingeschnittenen Elbetal der Sächsischen Schweiz ist der Fernradwanderweg bereits gebaut. Seit den 20er Jahren gibt es hier Wege für Radler. Zu DDR-Zeiten vernachlässigt und teils verfallen, sind die Velo- Pisten in der letzten Zeit vorbildlich wieder angelegt und markiert worden. Bis hinein ins Dresdner Zentrum kommt man streßfrei.

Die nächste Etappe dann: ein Mißerfolg. Denn für Radler führt kein gescheiter Weg aus Dresden hinaus. Da konnte auch die ADFC-Karte nicht helfen. Lärmige Ausfallstraßen, unübersichtliche Autobahnzubringer, wilde Mülldeponien und öde Industriebrachen zogen sich kilometerweit hin. Von lieblicher Landschaft weit und breit keine Spur. Es ist besser, von Dresden nach Meißen die S-Bahn zu benutzen.

Anschließend ist die Radlerwelt wieder in Ordnung. Mal fuhren wir auf ruhigen Landstraßen, mal auf schmalen Deichwegen oder auf Wiesenpfaden durch die Elbauen. Nur die kopfsteingepflasterten Dorfstraßen, die uns gehörig durchrüttelten, verfluchten wir leise. Wenn eine verkehrsreiche Bundesstraße drohte, wechselten wir auf einer der zahlreichen Elbfähren einfach das Ufer.

Die abenteuerlichste Flußüber- querung der gesamten Tour hatten wir an der Autobahnbrücke bei Hohenwarthe, nördlich von Magdeburg zu meistern. Der schmale Uferweg endet genau unter der Schnellstraßenbrücke. Wie soll es weitergehen? Zweiundzwanzig Treppenstufen hinauf! Dann führt ein luftiger Steg aus Eisenrosten, wie sie anderswo als Kellerabdeckung benutzt werden, über den Fluß. Das Schild „Benutzung auf eigene Gefahr“ trägt nicht unbedingt zur Beruhigung bei. Aber die nächste Fähre ist über zwölf Kilometer weit entfernt. So heißt es, allen Mut zusammenzunehmen und auf den schwankenden Rosten die Elbe zu überqueren. Auf der Autobahn über unseren Köpfen donnerte der Verkehr. Unter uns lugte zwischen den offenen Spalten und Löchern der Eisengitter respektheischend die Elbe hinauf. Augen zu und hinüber!

Auf ihrem 1.165 Kilometer lan- gen Lauf vom Riesengebirge zur Nordsee wird die Elbe durch Abwässer von Städten und Industriebetrieben sehr stark belastet. Trotzdem hat sich an ihren Ufern eine reiche Fauna und Flora erhalten, wie sie in den westlichen Bundesländern kaum noch anzutreffen ist. Die vielen Altarme, Überschwemmungsniederungen, Sumpfgebiete, Auwälder und -wiesen sind für zahlreiche vom Aussterben bedrohte Tiere und Pflanzen ein idealer Lebensraum.

Aber nicht nur Natur bietet die Route an der Elbe. Die meisten der Städte und Dörfer am Fluß blicken auf eine über tausendjährige Geschichte zurück. Bis in das Mittelalter hinein galt die Elbe als Grenzfluß zu den slawischen Völkern im Osten. So sind viele Elbstädte, ob Dresden, Wittenberg oder Magdeburg, aus Burgen und Festungen hervorgegangen, die die wichtigen Furten und Brücken über den Fluß zu sichern hatten.

Aber die Elbe war auch stets ein wichtiger Handelsweg, der Wohlstand, Kunst und Kultur ins Land brachte. Prächtige Schlösser, reiche Bürgerstädte und behäbige Dörfer sind Zeugnisse der wechselvollen Vergangenheit. Zwar haben die Bombenangriffe des Zweiten Weltkrieges zahlreiche Bauten und zerstört, aber dennoch blieb vieles erhalten oder wird unter großem Aufwand restauriert.

Wie auf der ersten Etappe können wir auf den beiden letzten Teilstücken die Landkarte wieder wegstecken. Zumeist auf eigens angelegten Radwegen und von einem vorzüglichen Markierungssystem geleitet, rollen wir von Schnackenburg, der kleinsten Stadt Niedersachsens, in die Millionenmetropole Hamburg. So wie auf diesen letzten 200 Kilometern soll der Radfernweg in naher Zukunft überall an der Elbe aussehen. Reinhard Kuntzke