■ Friedenspreis für Annemarie Schimmel?
: Falsche Ermutigung

Annemarie Schimmel findet einen Roman schlimmer als die Morddrohung gegen seinen Autor. Die Morddrohung nennt sie „gräßlich“, Salman Rushdies „Satanische Verse“ eine Beleidigung. Die „kann man nicht einfach so hinnehmen“, sagte sie in einem dpa- Interview am Montag. Sie habe Muslime weinen sehen. Die Familie des ermordeten japanischen Rushdie-Übersetzers wird gerührt sein. Annemarie Schimmel gibt ein Interview nach dem anderen, um den Eindruck zu korrigieren, sie unterstütze Khomeinis Mordaufruf. Aber sie gerät stets in die gleiche Falle. Der Aufruf sei nicht zu rechtfertigen, sagte sie gestern zum Deutschlandfunk. Aber irgendwie ist Rushdie selbst schuld: Er hat nicht beachtet, daß die „Freiheit doch auch durch Respekt für die Mitmenschen gezügelt werden muß“. Das sei eine „Auffassungssache“, antwortete sie auf die Frage, ob Rushdie nicht die Freiheit habe, als islamischer Autor das zu schreiben und zu kritisieren, was er für richtig und falsch hält.

Nein, schreibt Annemarie Schimmel in ihrem jüngsten Buch „Berge, Wüsten, Heiligtümer“ (1994), eine Politikerin sei sie nun nicht. Das Buch erzählt ihre Reisen durch Rushdies Heimat Pakistan und Indien. Dann dankt sie der pakistanischen Regierung, „gleich welcher politischen Richtung sie auch angehörte“, für die freundliche Unterstzützung ihrer Reisen und macht sich auf den Weg, unermüdlich auf der Suche nach der „Welt warmer mystischer Frömmigkeit“, die sie an ihren religiösen Dichtern aus dem 13. Jahrhundert so schätzt. Regierungen und Distrikgouverneure gleich welcher politischen Richtung stellen ihr dafür auch schon mal einen Hubschrauber zur Verfügung, „keinen der großen lärmigen, sondern eine Alouette, eine kleine ,Lerche‘, die gerade Platz für fünf Personen bot“. Und „der Vogel, der uns trug, schwebte in dieses Märchenland“. Rushdie findet in ihrem Buch keine Erwähnung. Dafür zitiert sie den Satz eines persischen Dichters: „Das Paradies ist, wo kein Mullah ist.“ Sie schildert in einer kurzen Passage den fanatischen Kampf der Islamisten gegen andere religiöse Überzeugungen – da wird durchaus klar, daß sie es sind, die keinen Respekt dafür aufbringen. Immer wieder erzählt sie von ihren Mystikern, von denen manch einer hingerichtet wurde. Die Morddrohung gegen Rushdie verharmlost sie als „ein Rechtsgutachten, eine Möglichkeit“ und vergißt, die Toten zu erwähnen, die sie bereits kostete. Annemarie Schimmel mag über Rushdie denken, was sie will. Aber den „Friedenspreis des Deutschen Buchhandels“ verdient Schimmels warmer Mystizismus nicht – er wirbt nur für einseitige Toleranz. Wenn sie dafür ausgezeichnet wird, werden sich genau die Falschen darauf berufen – die Mörder. Der Börsenverein muß seine Entscheidung revidieren. Thierry Chervel