Ein Phantom von Mann

■ „Verbrochene Herzen“: ein neues Blaumeierstück über das ewige Sehnen nach dem Traummann, über Glück und Bosheit

Glück ist scheu wie ein Reh. Trotzdem taucht das zarte Gefühl am Freitag im neuesten Blaumeier-Stück „Verbrochene Herzen“ eine ganze Stunde lang immer wieder auf: Wenn Penny (Petra Husheer) und Lulu (Imke Mattenheimer) überschwenglich vom gleichen Mann schwärmen, wenn sie sentimentale Liebeslieder anstimmen – aber auch, wenn sie sich Bosheiten an den Kopf werfen.

Das Blaumeierpublikum genoß beides, den Kitsch und das Gemeine. Applaus tobte, als Richie, Pennys Traummann, ihre Hoffnungen nach sechzig Spielminuten endlich wahr macht: Unter den Anfangsklängen der Fast-Faust-Hymne „in dubio pro libido“ führt er sie ins Happy End. Hinter der Leinwand knutschen ihre Schatten – aber es ist nur der Traum vom Glück zu zweit, den Barbara Weste liebevoll und zugleich sarkastisch inszenierte.

In Penny und Lulus Phantasien aber tobt der Nahkampf. Denn beide wollen demselben Mann an die Lenden – und dort kleben bleiben, singen sie, und wippen fröhlich mit dem Busen. In einer Bar, knall-orangerot ausgeleuchtet, schwärmen sie von ihrem Richie. Für den tut Penny, die angebliche Verlobte, tausend schwülstige Liebesschwüre. Und die üppige Lulu kreist mit den Hüften und leckt sich lächerlich lüstern die Lippen. Denn natürlich ist Richie nicht da. Er ist nur das Phantom von einem Mann, das durch seine bloße Existenz weibliche Leidenschaft schon in Besessenheit steigert – und genau die hat Penny und Lulu ergriffen.

Wir befinden uns mitten in trivialstem Geschehen: Im Handumdrehen schließen die beiden Frauen Lulu und Penny herzhafte Feindschaft. Kindliche Zankerei wird zur einzigen Verbindung zwischen ihnen, keine soll der anderen bei der Suche nach dem Glück im Weg stehen. „Die andere ausschalten“ heißt das Motto. Das führt in phantasievoller Übertreibung zum Lacherfolg für das Theaterstück: Wenn Penny ausgerechnet das Dampfbügeleisen über der gefesselten Rivalin schwenkt, die sich vom Wäscheständer nicht befreien kann, dann blitzt ein schadenfrohes Gefühl auf, das alle besser kennen als sie zugeben möchten. „Eine musikalische Farce für zwei Frauen und einen Helden“ – dieser Untertitel hält, was er verspricht.

Die Schauspielerinnen hantieren gekonnt mit Überzeichnung. Ihre gezielten Gemeinheiten gegeneinander, gepaart mit mit naiver Unschuldsmiene, machen neugierig auf mehr Klamauk. Weil die Dramaturgie zugleich, ganz blaumeierisch, aber auch den verletzbaren Gefühlen jeder einzelnen Rolle folgt, ist alles gar nicht so simpel. Weder die Parteinahme für eine von beiden, für Lulu oder für Penny. Noch, beide einfach abzutun als Klatschweiber aus einer anderen Welt.

Wir sind zwar mitten in einer Seifenoper und die Fehde ist in vollem Gang: Beide, Lulu und Penny, sind Meisterinnen im Quälen und Gequältwerden; mit derselben hilflosen Wollust, mit der sie schenkelklatschend und zungeschnalzend von Richie schwärmen, formulieren sie Besitzansprüche auf Richie, hauen sich Gemeinheiten um die Ohren und fesseln sich gegenseitig an Bänke. Doch unversehens tauchen Untertöne auf: Pennys verbaler Hieb gegen Lulu, „das Flittchen“, macht sie einen Moment wehrlos. So wie Lulus Wäschekellerverlies die Rivalin Penny zuvor zum Zittern brachte. Gezeter und geiler Klamauk haben plötzlich mit Macht zu tun. Die trägt manchmal absurde Züge. Aber am Freitag auch sehr komische. Eva Rhode

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