■ 1996 soll Cannabis-Anbau wieder erlaubt werden
: Dennoch kein Sieg im Hanf-Krieg

Der Anbau von Hanf, so verlautete es Ende letzter Woche aus dem Bundesgesundheitsministerium, soll wieder erlaubt werden. Im Juli will eine Expertenrunde im Hause Seehofer die Modalitäten festlegen, nach denen künftig auch in Deutschland bestimmte Hanfsorten wieder angebaut werden dürfen. Seit der „Reform“ des Betäubungsmittelgesetzes 1981 ist die gesamte Cannabis-Pflanze mit Stumpf und Stil als „nicht verkehrsfähig“ eingestuft, auch jene Hanfsorten, die wegen ihres geringen Gehalts an rauschwirksamem THC (Tetrahydrocannabinol) zum Drogengenuß ungeeignet sind. Der letzte deutsche Hanfbauer, Martin Butter, wurde 1982 mit einer hohen Abfindung dazu gebracht, seinen Familienbetrieb zu schließen: Er hatte gedroht, gegen das neue Gesetz vor dem Europäischen Gerichtshof zu klagen. Den Juristen des Bundesgesundheitsministeriums war seinerzeit klar, daß der Bauer auf europäischer Ebene obsiegen würde. In anderen EU-Ländern ist der Anbau von Hanf zur Herstellung von Fasern nicht nur erlaubt, er wird sogar von der Europäischen Union subventioniert. Der Prozeß endete damals mit einem Vergleich, der Hanfbetrieb wurde eingestellt. Im Oktober 1993 beantragten Brandenburger Bauern bei der zuständigen „Bundesopiumstelle“ eine Genehmigung zum Hanfanbau – nach dem diese zweimal versagt wurde, wurde im März 1994 vor dem Berlin Verwaltungsgericht Klage erhoben. Seitdem schlummert das Verfahren auf der langen Gerichtsbank; doch den Juristen der beklagten Bundesbehörde ist auch diesmal klar, daß sie spätestens vor dem EU-Gerichtshof unterliegen würden: Was dem Landwirt in England, Frankreich, Holland oder Spanien von der EU mit bis zu 1.500 Mark pro Hektar belohnt wird, bringt ihm in Deutschland Gefängnis. Daß dies nicht Rechtens sein kann, leuchtet jedem Kleinkind ein. Deshalb ist die angekündigte Entscheidung des Gesundheitsministers, den Anbau des Rohstoffs Hanf künftig wieder zuzulassen, nichts anderes als die längst überfällige Anpassung an europäisches Recht. Und es bleibt abzuwarten, mit welchen Auflagen der Hanfanbau befrachtet wird, und ob er dieselbe öffentliche Förderung erfährt wie andere nachwachsende Rohstoffe auch.

Die Aussicht, daß 1996 in Deutschland wieder Hanffelder blühen, ist noch kein Grund, in Jubel über einen Sieg im „Hanf- Krieg“ zu verfallen. Denn zum einen besteht das vom Verfassungsgericht gerügte Nord-Süd-Gefälle in der Strafverfolgung von Cannabis-Drogen nach wie vor und sorgt für eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung von Bayern und Ostfriesen; und zum anderen wurde in den 30er Jahren in den USA der Krieg gegen Hanf nicht vom Zaum gebrochen, weil es sich um eine besonders gefährliche Droge handelt, sondern weil ein nachwachsender Industrierohstoff ausgeschaltet werden sollte. Mit den in den 20er Jahren entwickelten Ernte- und Verarbeitungsmaschinen stand der Hanfpflanze, die seit Beginn des 19. Jahrhunderts aufgrund fehlender Technologie stark zurückgedrängt worden war, eine große Renaissance bevor, und zwar in den zentralen Bereichen der Ökonomie, dem Energie- und Rohstoffsektor sowie in den Textil-, Papier- und Kunststoffmärkten. Bereiche, die allesamt fest im Griff der petrochemischem Industrie waren, in den USA vor allem dominiert von DuPont.

DuPont, bis heute größter Chemiekonzern der Welt, lieferte die Bleiadditive für Benzin, die Sulfite und Sulfate für die Holzpapierherstellung, die Pestizide und Herbizide für den Baumwollanbau, die synthetischen Textilfasern sowie zahlreiche auf Öl basierende Kunststoffe. In allen diesen Bereichen war Hanf die grüne Alternative, und maßgebliche Leute machten sich dafür stark. Henry Ford baute auf seiner Versuchsfarm „das Auto, das vom Acker wächst“ – die Karosse war mit Hanffasern verstärkt, getankt wurde Hanföl – und Beamte des US-Landwirtschaftsministeriums setzten sich für Hanf als künftigen Papierrohstoff und Zellulose-Lieferanten für die Industrie ein. Fachzeitschriften versprachen dank der neuen Hanf- Technolgie eine „Milliarden-Dollar-Ernte“ – Milliarden, die den Chemie- und Ölkonzernen verlorengegangen wären. Deshalb inszenierten diese mit Hilfe der staatlichen Drogenverfolger eine beispiellose Desinformations-Kamapgane, die unter dem Schlachtruf „Mörderdroge“ den Rohstoffkonkurrenten Hanf ausschaltete.

Von dieser Horrorpropaganda hat sich der Hanf bis heute nicht erholt. Nach wie vor wird eine der ungiftigsten Pflanzen dieses Planeten – eine tödliche Hanfdosis ist nicht bekannt, in der ganzen Medizingeschichte findet sich kein einziger „Marihuana-Toter“ – mit den gefährlichsten Drogen gleichgesetzt; und nach wie vor ist die wertvollste Nutzpflanze überhaupt – „Es ist keine Pflanze, die den Menschen so viel nützet als diese. Sie ist sogar einträglicher als das Korn“, Mr. Mercandier, 1763 – vergessen und vom Erdboden nahezu verschwunden. Die wenigen Länder, die in den vergangenen Jahrzehnten noch Hanf anbauten, schleppten ihn als veraltetes Relikt nur dort mit, wo die Petrochemie noch nicht vollends Einzug gehalten hatte. Bis heute wartet der universellste aller nachwachsenden Rohstoffe auf den Anschluß ans Industriezeitalter. Die Möglichkeit, ihn ab 1996 in Deutschland wieder straflos anzubauen, ist deshalb nur ein winziger Etappensieg, verglichen mit dem Potential von Hanf als Rohstoff einer grünen Kreislaufwirtschaft von morgen und mit der Sprengkraft, die dieses Potential für die Interessen großen Öl-, Chemie-, Holz- und Pharmakonzerne hat. Ein dreimal größerer Faserertrag als Baumwolle, ohne ein Gramm Pestizid, ein viermal höherer Papierertrag als von Bäumen, ohne jeden Kahlschlag, ein kompostierbarer Biokunststoff für 20.000 verschiedene Produkte, eine Jahrtausende bewährte Universalmedizin gegen Krämpfe, Spannungen und Streß für zwei Mark das Kilo, ein Auto, das vom Acker wächst, ein dezentraler Lieferant von Biomasse und Energie... All dies trifft die auf Öl, Kohle und Atom setzenden Industrie-Dinosaurier ins Herz. Und sie werden ihr Terrain nicht kampflos vom Hanf überwuchern lassen.

Der Krieg um Hanf ist noch längst nicht ausgestanden. Er geht, mit der Erlaubnis zum Anbau, erst richtig los. Die Auseinandersetzungen in der Drogenpolitik, wo in Sachen Hanf nicht nüchterne Abwägungen, sondern emotionale Glaubensbekenntnisse regieren, sind dabei nur ein Indikator. Der eigentliche Kampf wird sich an der Frage entzünden, wie (und wann endlich) unser destruktives Industriesystem zurückgebaut und durch eine nachhaltige „grüne“ Ökonomie ersetzt werden soll. Das grüne Hanfblatt ist zu einem Paradigma dieses epochalen Wandels geworden. Es gibt viel zu tun. Pflanzen wir's an! Mathias Bröckers