Abrüstungsgewinn für Siemens

Energiewirtschaftliches Institut Köln weist nach, daß es profitabel wäre, russisches Waffen-Plutonium in deutsche MOX-Brennelemente umzuarbeiten  ■ Aus Frankfurt am Main Klaus-Peter Klingelschmitt

Der fast fertiggestellten Siemens-Fabrik für Brennelemente aus Plutonium und Uran (MOX) in Hanau könnte „eine Schlüsselfunktion“ für die Abrüstung russischer Atomwaffen zukommen. Das ist die Kernthese einer Expertise, die der Wirtschaftswissenschaftler Ingo Hensing, Mitarbeiter des von C. Christian von Weizsäcker geleiteten Energiewirtschaftlichen Instituts (EWI) an der Universität Köln, in der vergangenen Woche vortrug.

Das Thema der Tagung war umschrieben: „Waffenfähiges Kernmaterial aus der ehemaligen UdSSR – eine neue Herausforderung für die nukleare Verwertung und Entsorgung“. Für Siemens in jedem Fall. Es sei „aus Abrüstungsgründen attraktiv“, meinen die Wissenschaftler des EWI, die fast schon aufgegebene MOX- Fabrik in Hanau befristet und „im Rahmen einer politischen Lösung“ doch noch in Betrieb zu nehmen. Sie könnte solange genutzt werden, „bis eine ohnehin geplante MOX-Anlage in Rußland betriebsbereit (voraussichtlich in zehn Jahren) oder das militärische Plutonium vernichtet ist“. Ein socher Plan liegt bereits im deutschen Außenministerium, Siemens möchte ihn nur in Zusammenarbeit mit anderen Staaten verwirklichen.

Zur taz sagte EWI-Mitarbeiter Hensing, daß sich dieser mögliche „deutsche Beitrag zur Abrüstung“ sehr wohl rechne. Das EWI hat gleich zwei Finanzpläne erarbeitet, von denen Hensing das „Modell II“ favorisiert: „Die deutschen Energieversorgungsunternehmen (EVU) kaufen die MOX-Brennelemente aus russischem Waffenplutonium und Uran zu günstigen Uran-Äquivalent-Preisen. Und die abgebrannten Brennelemente werden nach dem Reaktoreinsatz sicher endgelagert.“ Das Modell impliziert aus Kosten- und Sicherheitsgründen die Endlagerung in Deutschland. Zu „Uran-Äquivalent-Preisen“ könnten die MOX- Brennelemente angeboten werden, weil die Kosten für die Wiederaufbereitung entfielen, das militärische Plutonium schon in separierter (metallischer), nutzbarer Form vorliege.

Waffenplutonium ist ein nützlicher Rohstoff

Gemessen an den Weltmarktpreisen von 4.000 bis 5.000 Mark pro Kilogramm MOX würde ein Preis von etwa 1.500 Mark – bei einem geschätzten Jahresdurchsatz von 1.000 Tonnen Plutonium und unter Berücksichtigung der Produktions- und Dekontaminationskosten – bereits die Kosten decken. Hensing: „Jede Mark, die über diese Grenze [von 1.500 Mark, die Red.] erwirtschaftet würde, verringert die Abschreibungen von Siemens und den EVU und somit die volkswirtschaftlichen Kosten.“

Nach Auffassung des EWI komme Deutschland bei der Realisierung der MOX-Strategie eine Schlüsselrolle zu, weil die USA dafür nur über ein begrenztes Know- how verfügten und die Staaten der GUS nicht dazu in der Lage seien, die Entsorgung des waffenfähigen Plutoniums über den Einsatz von MOX zu organisieren. Weltweit existierten nur noch in Frankreich, Belgien und England Produktionsstätten für MOX-Brennelemente. Doch die Anlagen dort seien bereits ausgelastet oder – etwa in England – nur mit geringen Durchsatzkapazitäten ausgestattet.

Aus wirtschaftlichen Gründen, glaubt das EWI, werde sich Rußland die MOX-Strategie zu eigen machen. Denn Plutonium sei „unbestritten ein Energierohstoff“, den man – „wenn man ihn ohnehin hat“ – auch nutzen könne. Weil aber das EWI langfristig auf die Endlagerung setzt, schlagen die Wissenschaftler eine Doppelstrategie vor: Aufgrund der momentan begrenzten Kapazitäten könnten sowohl die MOX-Strategie als auch die Strategie der Verglasung des waffengrädigen Plutoniums mit anschließender Endlagerung zum Zuge kommen.

Denn auch beim EWI ist man sich der „Schwierigkeiten oder vielleicht sogar der Unmöglichkeit“ bewußt, fremdes Plutonium in Deutschland endzulagern oder in Hanau zu verwerten. Das sei, hat Hensing erkannt, offenbar schon für „deutsches Material“ politisch nicht durchsetzbar.