■ Was einem in einer Woche alles in die Hand gedrückt wird
: Zettelwirtschaft & Opferdosenfleisch

Berlin (taz) – Der erste Zettel wurde mir am Sonntag vor dem Hauptgebäude der Humboldt- Universität von einem freundlichen, etwas dicklichen Inder überreicht. Dieser Zettel hat das Format DIN A6, seine Farbe ist rosa. Er lädt mich ein in „das Restaurant für Kenner“ Indira Mahal, wo es „Original-Indische Spezialitäten aus den verschiedenen Provinzen Indiens“ gibt. Der Aufforderung „Bitte wenden!“ leiste ich brav Folge und finde auf der Rückseite einen Ausschnitt aus dem Stadtplan. Mit einem großen Pfeil wird auf eine geschwärzte Stelle gedeutet: „Hier sind wir zu finden!“ Auf beiden Seiten des Zettels ist das Copyright vermerkt, es liegt beim BMA, dem Bundesministerium für Auswärtige Angelegenheiten. Ich finde es sehr gut, daß der Bundesaußenminister das Zusammenleben mit unseren ausländischen Mitbürgern auf diese praktische Weise fördert – denn was liegt näher, als sich bei „exotischen Cocktails“ dem Gedanken der Völkerfreundschaft leger zu nähern. Schließlich geht Liebe durch den Magen, und Multigastronomismus ist der erste Schritt zum Multikulturalismus.

Den zweiten Zettel habe ich am Donnerstag auf dem Finanzamt vor der geschlossenen Pförtnerloge gefunden. Er hat das Format DIN A4. Neben ungeheuren Mengen von Formularen für diverse Arten von Steuererklärungen lag ein ganzer Stapel davon aus. Diesen Zettel hat eine Behörde herausgegeben, die sich beharrlich „Berliner Forsten“ und nicht „Berliner Forste“ nennt und schwarz auf weiß mitteilt, was sie mitzuteilen hat. Wieder finde ich auf einer Seite einen Ausschnitt aus dem Stadtplan. Dieser bildet den äußersten Westen der deutschen Hauptstadt im Maßstab 1:100.000 ab. Hier gibt es mehrere geschwärzte Flächen. Diese bezeichnen die „Hundeauslaufgebiete in den Berliner Forsten“. Auf der Rückseite steht ein Brief „an alle Hundehalterinnen und Hundehalter in Berlin“. Zwar fordere das Berliner Landeswaldgesetz, „daß Hunde im Berliner Wald an der Leine zu führen sind“, eine Ausnahme bildeten jedoch die „Hundeauslaufgebiete (HG)“. In diesen „dürfen Hunde unangeleint laufen, sofern sie sich im Einwirkungsbereich ihres Besitzers befinden. Der Hund muß also in Hör- und Rufweite bleiben, damit er jederzeit zurückgerufen werden kann. Erholungssuchende und das Wild dürfen durch Hunde weder gestört noch gefährdet werden.“ Vor allem dürfen auch in „HGs“ Hunde weder auf Liegewiesen noch an Badestellen die Beuge machen (oder wie das Häufchenmachen auf dem Amt wohl heißen mag), und auf Kinderspielplätze darf man mit ihnen gar nicht gehen. „Zuwiderhandlungen [...] können mit einer Geldbuße bis zu 20.000 Mark geahndet werden.“

Der einzige Grund, warum ich keinen Hund habe, ist der, daß ich die Hundehaltung in der Stadt für Menschen wie für Hunde unzumutbar finde. Ich bin also gegen Hunde, weil ich eigentlich für Hunde bin. Soll ich, weil ich gegen Hunde in der Stadt bin, auch gegen „HG“ im Berliner Wald sein? Einerseits gehe ich nie in diesen, andererseits ginge ich vielleicht doch, wenn ich einen Hund hätte, den ich aber nicht habe, weil ich in der Stadt wohne. So wirft dieser Zettel verschiedene grundlegende Fragen auf: Stadt oder Land? Hund oder nicht? Oder vielleicht Katze? Oder aufs Dorf ziehen? Und so weiter.

Den dritten Zettel habe ich am Freitag bei einem türkischen Bäcker in der Oranienstraße gefunden. Es ist der ausgearbeitetste, nämlich schon fast eine Broschüre, orange und braun auf DIN A5. zusammengefaltet. Innen gibt es Fotos. Herausgeber ist die Organisation „Islamic Relief“. Wieder geht es um Tiere. Diese heißen „Korbani“, das wird mit „Opfertiere“ übersetzt. Auf deutsch, türkisch und arabisch wird dazu aufgerufen, für „Opfertiere für Muslime in der ganzen Welt“ zu spenden. „Lieber Bruder, liebe Schwester“, schreibt der Direktor, „Islamic Relief ist die einzige Organisation, die in Dosen konserviertes Opferfleisch anbietet. Das bedeutet, daß wir Korbanis in die meisten Kriegsgebiete der Welt, wie etwa nach Bosnien, liefern können, da dies den Transport und die Lagerung des Fleisches erleichtert.“ Er schließt „mit islamischen Grüßen“. Neben Fotos, die Kamele, Kühe und Schafe (mit der Bildunterschrift: „Konservierung von Korbani-Fleisch“), das Schlachthaus, die Dosenfabrik sowie durch die Spenden beglückte Kinder und Erwachsene in verschiedenen Ländern zeigen, hat mir besonders gut die Abbildung einer Dose gefallen. Dazu werden, wieder in drei Sprachen, die „Vorteile der Verarbeitung der Korbanis zu Dosenfleisch!“ erläutert: „Es geht kein Fleisch verloren. Vorgekocht und damit fertig zum Verbrauch. Ist in einigen Ländern billiger als örtliche Einkäufe“ etc.

Damit schließt sich der Kreis von Multigastronomismus und Multikulturalismus (würde ich einen Brief „mit frommen Grüßen“ schließen?), Hundehaltung und Landeswaldgesetz, Stadtleben und Haustierlosigkeit (hätte es mein Hund nicht vielleicht doch gut in Berlin, wo es doch Hundeauslaufgebiete in den Berliner Forsten gibt?), Fleischopferdosen und Hungertod, Geldspenden und Grübeln, Fressen und Moral (drücke ich durch exotische Cocktails im Indira Mahal etwa meine Zustimmung zur Außenpolitik aus?), Werden und Vergehen: Soll ich die Zettel jetzt vielleicht aufheben, oder war ich doch nur ein Bindeglied zwischen der Druckerei und dem Altpapiercontainer? Iris Hanika