Neues Wohnen – alte Bilder

■ Open-air-Ausstellung an der Straße Unter den Linden über den Wohnungsbau der neunziger Jahre: informativ, monströs, ernüchternd / Neue Quartiere auf der grünen Wiese

Bausenator Wolfgang Nagel klotzt wieder. Um die Bilanz seiner fünfjährigen Amtszeit ins rechte Licht zu rücken, ist seit gestern die größte öffentliche Wohnungsbauschau seit den Tagen der IBA (Internationale Bauausstellung) zu sehen. Entlang der Straße Unter den Linden ließ der naßforsche Bausenator – zum Ärger der CDU und zum Schrecken der FDP, die dort auf 40 Quadratmeter eine „Gegenbilanz“ zeigt – einen 600 Meter langen Ausstellungspavillon mit 1.230 Plastiktafeln für Zeichnungen, Fotos und Entwürfe errichten.

Die Open-air-Form, so Nagel gestern bei der Eröffnung der 2,8 Millionen Mark teuren Mammutschau, solle den Berlinern „eine breite Rezeption“ des Bauthemas ermöglichen. Dagegen wäre nichts einzuwenden. Doch als „monströs, unübersichtlich und kaum erfaßbar“ befanden die ersten Besucher den Gang durch den Gerüstkäfig, den man besser regendicht geplant hätte. Und auch ein paar Architekten waren sauer, suchten sie doch nach ihren Namen unter den Projekten, die falsch beschriftet waren.

Die Revue Stadt Haus Wohnung mit über 250 Projekten zum Wohnungsbau der neunziger Jahre soll den Berlinern helfen, sich vom Verdruß der derzeitigen Leerstand- und Baugrubenstadt in das „Goldene Wohnzeitalter“ zu denken. Der Senat messe dem „Thema Wohnen als Grundvoraussetzung menschlichen Wohlbefindens“ höchste Priorität zu, erklärte Nagel. Rund 2 Milliarden Mark jährlich würden dafür investiert. Das „ehrgeizige Förderziel“, nämlich von 1990 bis heute rund 80.000 Wohnungen zu bauen, habe man „nahezu erreicht“. Fast 72.000 Wohnungen seien bis dato „auf den Weg“ gebracht worden.

Nagel sprach auch von einer „Kehrtwende im Wohnungsbau. Die Konzepte für die neuen Quartiere etwa in Karow-Nord, in Buchholz oder Falkenberg, wo jeweils rund 3.000 neue Wohnungen gebaut werden, orientierten sich nicht mehr an den Großsiedlungen der siebziger Jahre. Das „Leitbild Vorstadt“ beinhalte vielmehr, daß dichtbebaute Quartiere mit Einrichtungen für Wohnen und Arbeiten geschaffen würden. Die Architekturen der Vorstädte, die dem Bausenator vorschweben, sollen nicht mehr gleichförmige Riesenblocks darstellen, wie beispielsweise in Marzahn oder Hohenschönhausen, sondern aus differenzierten und unterschiedlich genutzten Haustypen bestehen. Nagel: „Es ist das Ziel der Baupolitik, neue Wohnhäuser weder als Wohnmaschinen noch als Einfamilienhauslandschaft zu errichten. Wo immer möglich, sollen städtische Häuser mit einer eigenen Identität gebaut werden.“

Schaut man aber an, was aus den hochfliegenden Plänen geworden ist, erweist sich das „Konzept Vorstadt“ als überdenkenswert. Statt eine neue Wohnkultur zu bieten, sind die Wohnungsgrößen im sozialen Wohnungsbau geschrumpft. Statt primär bezahlbare Unterkünfte zu schaffen, setzt der Senat immer mehr auf teure privatwirtschaftlich finanzierte Baumodelle. Und statt ökologisch zu planen und multifunktionale Grundrisse zu entwickeln, denken viele Architekten zu sehr an Fassaden und die Blockstruktur.

Das größte Manko des Wohnungsbauprogrammns aber bleiben die Standorte der Siedlungen. Die Baufelder an der Peripherie der Stadt, auf einstigen Plattenstandorten „ohne Stadtzusammenhang“, wie Dieter Hoffmann-Axthelm kritisierte, haben wenig mit einer „Kehrtwende“ zu tun. Sie erinnern eher an die Vorstädte auf der grünen Wiese aus den sechziger Jahren, die von Baulöwen gleich dutzendweise hochgezogen wurden. Und die dankten es dem Bausenator mit einem kräftigen finanziellen Zuschuß von fast einer Million Mark für die Schau. Als Sprecher der freien Bauunternehmer jubilierte Klaus Groth: „Eine neue Gründerzeit ist angebrochen.“ Jeder weiß, was das heißt. Rolf Lautenschläger