Im Visier: Frauen auf Rädern

Der Anteil der motorradfahrenden Frauen steigt / Eine Studie belegt: Ihr Fahrverhalten ist anders, besonnener und weniger aggressiv  ■ Von Lotte Stüber

Inge fährt eine schwere Maschine, eine Boxer-BMW mit tausend Kubikzentimetern, 60 PS, einer Spitzengeschwindigkeit von fast 200 Stundenkilometer und satten 220 Kilogramm. Motorradfahren ist für die 45jährige Lehrerin völlig unspektakulär. „Andere fahren leidenschaftlich gerne Auto oder sind passionierte Fahrradfahrerinnen. Ich fahre halt Motorrad.“ Was sie aber manchmal wirklich auf die Palme bringt, sind die skeptischen oder ungläubigen Blicke so mancher Männer, wenn sie vom Motorrad steigt. Und auf die besorgt-herablassenden Fragen, ob denn eine so kleine Frau ein so schweres Motorrad überhaupt fahren, halten oder aufheben könne, wenn es denn mal umfiele, antwortet sie nur noch genervt: „Ich will es ja nicht tragen.“

Verstärkt dringen nun Frauen in eine der letzten Domänen „wahrer“ Männlichkeit vor. Immer mehr Frauen rücken vom Soziussitz nach vorne in Richtung Lenker. Allein im vergangenen Sommer registierte das Kraftfahrtbundesamt in Flensburg über 200.000 Motorräder, die auf Frauen zugelassen sind. Waren es Mitte der achtziger Jahre mit einer Frauenquote von acht Prozent gerade mal 80.000 zugelassene Maschinen, sind die Frauen heute schon mit 13 Prozent beteiligt, und die Tendenz ist steigend. Am Motorradboom der vergangenen zehn Jahre, der insgesamt eine Verdoppelung von rund einer auf etwa zwei Millionen zugelassener Motorräder brachte, haben die Frauen also überproportional mitgemischt. Vor allem in den Altersklassen bis 40 Jahren sind sie gut vertreten. Bei den über 40jährigen ist der Frauenanteil mit etwa acht Prozent (noch) deutlich geringer. Mittlerweile ist es so, daß fast jeder dritte neuausgestellte Motorradführerschein an eine Frau geht.

Was sind die Motive, die Frauen zum Lenker greifen lassen? Für die eine sind es Vater, Bruder, Freund oder Ehemann, die mehr oder weniger früh schon den Virus übertrugen. Andere infizieren sich ohne konkrete männliche Bezugsperson. Grund für die Motorrad- Influenza sei, so eine Studie der Bielefelder Universität über Motorradfahrerinnen, ein verändertes Freizeitverhalten von Frauen und Mädchen. Die frühere rollenspezifische Freizeitgestaltung wie zum Beispiel Auto- oder Motorradbasteln und Buchlesen kann heute nicht mehr zwangsläufig dem einen oder anderen Geschlecht zugeordnet werden. Das liege einerseits an der in den vergangenen zwei Jahrzehnten gewandelten Erziehung von Mädchen. Andererseits würden berufstätige junge Frauen ihre Freizeitbedürfnisse verstärkt gegen Familie und Kinder durchsetzen.

Zum weiblichen Fahrverhalten hat die Studie herausgefunden, daß Frauen gerne kurvige, kleinere Straßen fahren und Hochgeschwindigkeitsfahren nicht unbedingt ihre Sache ist. Auch Leistungsaspekte stünden nicht deutlich im Vordergrund. Motorradfahrerinnen schätzten eher das genießerische, beschauliche Fahren, und das Niveau der Unfälle bleibe bei Frauen stets unter dem der Männer. Auch Ursula ist sich sicher: „Frauen fahren anders.“ „Viel besonnener und nicht so aggressiv“, sagt Ute. Männer müßten sich viel mehr beweisen, daß sie die Schnellsten und die Besten seien.

Wie bei Männern führt auch bei Frauen das Hobby Motorradfahren zur Entwicklung eines gewissen Gruppengeistes, das mann und frau gern mit Gleichgesinnten ausübt. Gruppenintern allerdings tobt zuweilen der Geschlechterkampf.

Wie frau es macht, ist es verkehrt. Erst maulten die Männer: „Jetzt müssen wir auch noch das Weib mitschleppen.“ Wenn eine Frau sie aber in den nächsten Kurven alle richtig abzieht, heißt es dann: „Und das als Frau!“ Solche und andere Erfahrungen bewegen motorradfahrende Frauen, sich in eigenen Clubs zusammenzuschließen. Bundesweit agieren zwei Frauenmotorradclubs: Der „Hexenring“ und die „Women on Wheels“ (WOW). Eine deutsche Depandance der weltweiten Organisation „Womens International Motorcycle Association“ (WIMA) existiert ebenfalls.

Eine öffentlichkeitswirksame Aktion im Kampf gegen die Kolben-Machos ist der seit vier Jahren verliehene „Goldene Abfalleimer“. Damit protestieren die „Women on Wheels“ alle Jahre wieder gegen sexistische und frauenverachtende Werbung der Motorradbranche. Zubehörfirmen, die ihre Helme, Motorradstiefel oder Lederkombis mit nackten Frauen schmücken, bekommen die Mülltonne ebenso verliehen wie der Chefredakteur einer Motorradzeitschrift der sich frauenfeindlich gegenüber Motorradfahrerinnen geäußert hat.

Gerade da, wo Frauen in von Männern dominierte Bereiche einbrechen, sind den Klischees Tor und Tür geöffnet. Das kann Frauen schon in Rage bringen. Kein Wunder, daß sie lieber unter sich sind – im Frauenmotorradclub. „Da brauchst du nichts zu beweisen, da kannst du einfach nur zusammensein und Spaß haben“, sagt Inge. Da ist es auch egal, ob Frauen einen Chopper (hoher Lenker, tiefe Sitzbank, viele Chromteile) oder ein Superbike fahren. Einsteigermodelle (für Führerschein-Neulinge), Rennsemmeln (bunt, dicker Hinterradreifen und aggressives Motorengeräusch), klassische Tourenmaschinen und hochbeinige Enduros spiegeln nur die Vielfalt ihrer Fahrerinnen. Von der Schülerin bis zur Unternehmerin, von der Krankenschwester bis zur Staatsanwältin, von der Rockerlady bis zur Radikalfeministin reicht das Spektrum motorradfahrender Frauen. Die meisten haben eine starke emotionale Bindung zu ihrem fahrbaren Untersatz und Freizeitgerät. „La Chica“ nennt Ulrike liebevoll ihre Kawasaki Zephyr. Gertrud spricht von ihrer „Kleinen“, einer 600er Yamaha. Ute hat in ihrer „lila Kuh“, einer BMW, ihr Traummotorrad gefunden. Und Lydia meint gelassen zu ihrer „Kawa“: „Was sich dreht, dreht sich auch mit Dreck.“

Wie kommen Motorradfahrerinnen mit der Technik klar? Je nach Gusto. Uta ist Kraftfahrzeugmechanikerin und hat ihre Triumph, Baujahr 1954, aus einem Eisenhaufen zu einem Glanzstück restauriert. Ingrid fährt abwechselnd mit ihrem Mann entweder die BMW oder die Ducati 900 SS und ist sich beim Tanken immer wieder unsicher, welcher Sprit nun in welches Moped rein muß. Helma hat einen Riesenspaß beim Zerlegen des Vergasers, und keine stellt das Ventilspiel besser ein als Kati. Männer sollen ja auch schon lange Schrauborgien hingelegt haben, wo doch nur das Benzin im Tank fehlte oder der „Kill“schalter auf „off“ stand.

Ein Renner sind in letzter Zeit Schraubkurse und Sicherheitstrainings nur für Frauen. Die Frauenmotorradclubs organisieren solche Kurse teils in Eigenregie – möglichst unter Leitung einer Frau, versteht sich. Aber auch etablierte Anbieter von geführten Motorradtouren und Trainingslehrgängen sowie die Motorradindustrie haben die Motorradfahrerinnen längst als Zielgruppe im Visier.