Hoch auf dem Seil

■ Im Bezirk Prenzlauer Berg soll eine Ausbildungshalle für Artisten entstehen / Der Entwurf hat das Flair der Zirkuszelte

Flugnummern von Artisten sind reines Risiko, sind diese nicht durch ein Netz gesichert. Je mehr der sprichwörtliche doppelte Boden in den Zirkuszelten und Unterhaltungspalästen abgebaut wird, weil das Publikum den Nervenkitzel und die Gefährlichkeit des Spiels immer direkter erleben will, desto nötiger wird das Training unter der Kuppel. Die Griffe und das Timing zwischen Springer und Fänger müssen stimmen. Der Salto mortale darf zu keiner Kunst werden, die das Leben gefährdet. Daß der Absturz über dem fehlenden Fangnetz aber nie auszuschließen ist, hat man gerade wieder bei einer Flugnummer im Friedrichstadtpalast erlebt: Dort verfehlte die Artistin die Fanghand ihres Bruders und fiel zu Boden.

In Berlin fehlt es bislang an ausreichenden Trainingsmöglichkeiten für Akrobaten in der Zirkuskuppel und am Boden. Lediglich eine Ausbildungsstätte – auf vier Standorte in der Stadt verteilt – besteht, an der ein paar Dutzend Schüler und Schülerinnen fliegen, jonglieren und balancieren üben. Für die Fachrichtung Artistik innerhalb der Staatlichen Ballettschule und Schule für Artistik lobte darum der Senat einen Bauwettbewerb für den Neubau einer Trainingsstätte aus, die alle Einrichtungen der Schule an einem Standort konzentrieren soll. Die Schule war 1951 in Ostberlin als Institut für künstlerischen Tanz gegründet und 1957 auch der Artistenausbildung geöffnet worden.

Der siegreiche Entwurf des Architektenteams Christoph Langhof und Thomas Hänni (Berlin) für die Sport- und Trainingshalle an der Erich-Weinert-Straße im Nordosten des Bezirks Prenzlauer Berg trägt etwas von dem Schwung und dem Risiko des Artistensports in sich. Die Architekten schlugen mit dem Zirkel einen einfachen Halbkreisbogen, so daß die 25 mal 45 Meter große Halle einmal wie eine langgezogene Tonne aussehen wird. Damit von Zuschauern auch Wettkämpfe miterlebt werden können, ist in der Halle eine kleine Tribüne vorgesehen.

An ein Zirkuszelt oder einen Festraum erinnert das Hallenkonzept von Langhof/Hänni aber vor allem darum, weil die von außen runde Halle im Innern nach oben dreifach abgetreppt ist und so einer Kuppel nachgebildet erscheint. Die Abtreppung kommt den unterschiedlichen Luftnummern funktional entgegen. Knapp über der Erde balancieren die Trapezkünstler, die viel Raum benötigen. Darüber üben die Hochseilartisten, und unter dem Hallendach schaukeln die Flugakrobaten.

Doch auch das Material und das Erleben der Halle erinnern an die Zirkusluft. Weil das Projekt als „kostensparendes Bauen“ angelegt ist, sind vorgefertigte Holzwerkstoffe, eine transparente Außenhaut, die sich fast ganz öffnen läßt und eine schnelle, unkomplizierte Bauzeit vorgesehen. Dergestalt erinnert der Bau noch mehr an den provisorischen Charakter der Manegen, an die mobil gefertigte Zeltkonstruktion, für die die Artisten üben. Rolf Lautenschläger