Ratlosigkeit etc.
: Bocksepigonen

■ Die selbstbewußte „Wochenpost“

Das Erstaunlichste an der Debatte um den „anschwellenden Bocksgesang“ bleibt die schlichte Tatsache der Auseinandersetzung mit Texten, deren kitschig-priapistische Titel schon auf mangelndes Denkvermögen deuteten. Inzwischen ist die Sache an die Epigonen übergeben, was den Surrealismus der Debatte erst so richtig hervortreten läßt.

Denen, die sich den Sampler „Die selbstbewußte Nation“ zugemutet haben, ist nicht unbedingt neu, was der FU-Professor Alexander Schuller unter dem Titel „Die reaktionäre Linke“ in der neuesten Ausgabe der traurig heruntergekommenen Wochenpost schreibt. Und doch staunt man, daß „die Linke“ in der BRD „spätestens seit '68“ die Macht habe; daß sie inhaltlich nicht viel mehr biete als „ein bißchen Geschlechterhaß, ein bißchen Deutschenhaß, ein bißchen Technikangst“ und daß sie „trotz aller inhaltlichen Dürftigkeit“ in der Lage war, die Öffentlichkeit zu beherrschen. „Heute, im Besitz der Macht, gehört die Linke zu den Besitzenden“, sagt Herr Schuller. „Sie ist damit objektiv reaktionär.“

Ein wenig verwirrt fragt man sich, was für den Autor rechts ist, wenn es auf der Medienseite FAZ, Sat.1 und Springer offensichtlich nicht sind, wenn Kohl in Wahrheit ein Linker ist und die Bundesrepublik seit '68 eine ökoterroristische, femirassistische, deutschenfeindliche Diktatur. „Der politische Wille (...) zur Veränderung kann nur von außen, von den Gedemütigten und Entrechteten kommen“, weiß Schuller. Die entrechteten „Republikaner“, die gedemütigten Neonazis?

Vermutlich meint Schuller das nicht, aber er schreibt es. Und steht mit seinem Schreiben und Denken an der Freien Universität Berlin nicht mehr allein. Längst beschränkt sich die neue Gemeinsamkeit an der früheren „linken Kaderschmiede“ nicht mehr nur auf den Kreis um den Vorzeigerechten Ernst Nolte. Der Althistoriker und FU-Dekan Alexander Demandt machte sich in seinem Kontrastprogramm zum 8. Mai in der „Info- Illustrierten“ Tango Gedanken zum Thema „Was wäre, wenn Hitler den Krieg gewonnen hätte“: „Der Volksgedanke hätte sich in einer umfassenden Gesundheitsvorsorge und einem ausgedehnten Sportwesen verwirklicht“, „Kindergeld und Kindergärten hätten den Nachwuchs gefördert (...), Abtreibung wäre strafbar, freie Liebe und uneheliche Geburt verzeihlich, Homosexualität wäre verpönt gewesen; (...) Nichtraucher, Vegetarier und Antialkoholiker hätten Oberwasser gehabt. (...) Bitterfeld hätte es nicht gegeben.“

Und hat jemand überhaupt gelesen, was in dem Text „Über die westlich-deutsche Generallinie“ steht, den der FU-Philosoph Reinhard Maurer in „Die selbstbewußte Nation“ veröffentlicht hat? „Die Erwähnung des Namens ,Auschwitz‘“, schreibt Maurer, habe im Nachkriegsdeutschland „jede freie Denkbewegung in diesem Zusammenhang zum sofortigen Stillstand“ gebracht. Die „Hirnlosigkeit dieser Art von ,Vergangenheitsbewältigung‘“ – die ja bekanntlich seit '45 in der BRD betrieben wurde – sei „in Wahrheit“ nicht nur die „Fortschreibung der braunen Vergangenheit“, sondern auch „wesentliche Ursache für das Erstarken neonazistischer Strömungen“. Maurers Fazit: „Auf diese Weise wird nicht nur ein Versuch politischer Problemlösung, der zur Unmenschlichkeit führt, tabuisiert, sondern auch die Probleme, die er lösen wollte, Probleme der zwischenmenschlichen Beziehungen, der Beziehungen zwischen den Völkern, der Beziehung zwischen Mensch und Umwelt.“

Abenteuerliche Gedanken, an denen immerhin wahr ist, daß „jede freie Denkbewegung in diesem Zusammenhang zum sofortigen Stillstand“ gebracht wird. Das weiß auch Schuller: „Schlimmer als der Schrecken ist die Ratlosigkeit.“ Detlef Kuhlbrodt