Alte Duzfreunde

■ Bundeskanzler Kohl und Frankreichs Präsident Chirac bauen eine neue deutsch-französische Zweierkiste

Paris (taz) – „Herr Präsident der Republik, lieber Freund“, beginnt Helmut Kohl seine Anrede an Jacques Chirac. Er schätze sich glücklich, sagt der deutsche Kanzler, daß der Franzose „den ersten Arbeitstag des Septennats“ zu dem Treffen in Straßburg, „dieser Nahtstelle zwischen Deutschland und Frankreich“, genutzt habe. Am Ende ihres über einstündigen Gespräches in einem Saal der Präfektur sind die beiden Männer am Donnerstag abend gut gelaunt vor die zahlreichen Journalisten getreten. „Wir duzen uns seit Jahren“, hatte Kohl wissen lassen.

Themen des Zwiegesprächs waren die bilateralen Beziehungen, Europa und der bevorstehende Gipfel von Cannes. Die Existenz von Widersprüchen zwischen Bonn und der neuen Regierung in Paris, Gegensätze gar, bestreiten beide. Es gäbe seinerseits auch keine Präferenz für den vormaligen Präsidenten François Mitterrand, versichert Kohl zur sichtlichen Freude Chiracs.

Entscheidend sei der Wille zur Zusammenarbeit und zur Verständigung, und das sei unverändert vorhanden – ergänzt er. Sein Gastgeber, dessen finanzpolitische Äußerungen im Wahlkampf zum mehrfachen Absacken des Franc geführt hatten, fügt beruhigend hinzu, daß „keineswegs“ an eine Abwertung gedacht sei und daß die europäische Richtung hin zur Währungsunion eingehalten werde. Für Kontinuität in der französischen Außenpolitik spricht auch die Zusammensetzung des neuen Kabinetts, die am Donnerstag nachmittag bekanntgegeben wurde. Das garantieren die Namen der 42 MinisterInnen und StaatssekretärInnen in der ersten Regierung von Premier Alain Juppé, bisher Außenminister und Chiraquianer seit 18 Jahren.

Das Kabinett ist jünger – um vier Jahre auf ein Durchschnittsalter von 48 Jahren – und weiblicher: Vier Ministerien und acht Staatssekretariate gehen an Frauen. Auch wenn ihre Plätze vor allem im zweiten Rang sind, konnte bisher keine französische Regierung mit so vielen Frauen aufwarten. Die Stäbe der Ministerien sind ausgedünnt, die Ressorts neu verteilt. So wurden aus dem bisherigen Sozialministerium drei neue Ressorts, darunter eines mit dem Titel „Kampf gegen die Ausgrenzung“ und eines, das sich „Solidarität zwischen den Generationen“ nennt.

Die prominentesten Balladur- UnterstützerInnen der letzten Regierung – Innenminister Pasqua, Verteidigungsminister Léotard und Sozialministerin Veil – haben keine neuen Posten bekommen. Doch finden sich mehrere Balladurianer im Kabinett, die im Wahlkampf weniger aggressiv gegen Chirac aufgetreten waren. – Überraschend stark sind auch die Gefolgsleute des einstigen Präsidenten Valéry Giscard d'Estaing, darunter auch der neue Außenminister Herve de la Charette.

Chiracs langjährige Wegbegleiter haben die Schlüsselpositionen: Alain Madelin übernimmt das Wirtschafts- und Finanzministerium, das allerdings weniger mächtig ist, als er gewünscht hatte. Jacques Toubon, der bisherige Kulturminister und Verteidiger der französischen Sprache, ist Justizminister. Die beiden Parteien der konservativen Mehrheit, die neogaullistische RPR von Chirac, und die liberale UDF sind gleich stark im Kabinett vertreten.

Das Elsaß, wo sich Konservative wie in allen Regionen Frankreichs einen „eigenen“ Minister in der neuen Regierung gewünscht hatten, ging ebenso wie Lothringen bei der Postenvergabe leer aus. Dennoch verlief Chiracs erster Besuch in der elsässischen Hauptstadt Straßburg höchst erfolgreich. Nach Ende des Gesprächs in der Präfektur mußte er sich mit Kohl und unterstützt von zahhlreichen Bodyguards mühsam einen Weg durch die jubelnde Menschenmenge bahnen. „Jacques! Jacques!“ riefen die hauptsächlich jugendlichen Fans, und der neue Präsident genoß die große Aufmerksamkeit auf dem Place Broglie. „Helmut!“ rief niemand. Dorothea Hahn

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