Weder verwandt noch verschwägert

■ Wie Jürgen Schneider die Deutsche Bank mit „Peanuts“ in Verlegenheit brachte – ein Rückblick auf den Skandal

Die Flucht sah aus wie ein österlicher Familienausflug: Jürgen Schneider, seine Ehefrau Claudia und Tochter Ysabel verließen mit Koffern ihr schloßähnliches Anwesen in Königstein. Im Mercedes 600 ging's zum Flughafen. Zuvor hatte der stadtbekannte Baulöwe noch einen Großeinkauf bei Tiffany gemacht und einen Brief verfaßt. Sein Arzt habe ihm geraten, sich „von jedem Streß fernzuhalten“. Deshalb wolle er seinen „augenblicklichen Aufenthaltsort vorerst nicht bekanntgeben“, schrieb er mit Datum vom 4. April 1994. Bitter beschwerte sich Schneider über Gerüchte, in seinem Betrieb stünde nicht alles zum besten. Einige kleinere Banken hätten gar ohne stichhaltige Begründung neue Sicherheiten verlangt.

Der Empfänger des siebenseitigen Briefes war Ulrich Weiss, im Vorstand der Deutschen Bank für den Filialbereich Mannheim zuständig. Er und seine Untergebenen hatten Schneider in den letzten Jahren 900 Millionen Mark Kredit gewährt. Weiss beunruhigte an diesem 7. April 1994 vor allem eines: Schneiders Forderung, daß die fälligen Zinsen für zwei Jahre gestundet werden. Und frisches Geld wollte er – achtzig Millionen Mark Überbrückungskredit.

Die anderen Gläubiger erfuhren zunächst nichts von Schneiders Zahlungsschwierigkeiten. Und auch seine Abreise blieb geheim. Statt dessen schickte die Deutsche Bank ein Expertenteam in die Villa im Taunus, die die Geschäftsunterlagen durchforstete. Schnell erkannten sie: Das Imperium, das die Deutsche Bank mit insgesamt 1,2 Milliarden Mark gestützt hatte, war auf Sand gebaut.

Bei vielen Projekten hatte sich Schneider völlig verspekuliert. Die erwarteten Einnahmen waren wegen der verfallenden Gewerbemieten völlig unrealistisch. So hatte er beispielsweise damit gerechnet, in der Leipziger Mädler Passage einen Quadratmeterpreis von 200 Mark erzielen zu können. Monatelang stand das Einkaufszentrum jedoch leer, bis Schneider seine Forderung mehr als halbierte.

Erst vier Tage nach Ulrich Weiss bekommt dann auch die Öffentlichkeit mit, daß der gelernte Maurer, Bauingenieur und promovierte Betriebswirt mit unbekanntem Ziel verreist ist. Die Staatsanwaltschaft hingegen muß sogar noch länger warten, bis die Deutsche Bank das von ihr entdeckte Material rüberreicht.

Der inzwischen 61jährige Schneider hatte Anfang der achtziger Jahre bei Philipp Holzmann gekündigt und war selbst mit dem Vermögen seiner Frau ins Baugeschäft eingestiegen. Zunächst kaufte er Immobilien in und um Frankfurt – meist in bester Lage. Er ließ die Häuser aufwendig sanieren und versuchte dann, hohe Quadratmeterpreise dafür zu erzielen. Nach der Wende expandierte der sich selbst gern als „Frankfurter Bub“ titulierende Schneider auch in den Osten: Vor allem in Leipzig kaufte er große Teile der Innenstadt auf. Bei insgesamt 168 Objekten waren er, seine Frau, seine Kinder oder andere Strohleute im Grundbuch eingetragen, als er Deutschland verließ. 6,7 Milliarden Mark Schulden hatte Schneider gemacht. Mehrere tausend Leute aus seinem Betrieb wurden arbeitslos.

Der Bankrott des Schneider- Imperiums wurde vor allem zu einem Image-Debakel für die Deutsche Bank. Erst ein halbes Jahr zuvor hatte das Kreditinstitut bei der Fast-Pleite der Metallgesellschaft eine gehörige Portion Mitverantwortung. Der Zusammmenbruch der Schneider-Gesellschaft machte dann ein weiteres Mal deutlich, mit welcher Gutgläubigkeit vermeintlich betuchte Kunden behandelt werden. So hatte Schneider beispielsweise den Deutschen Bankern erzählt, daß das Kaufhaus „les facettes“ auf der Frankfurter Zeil 20.000 Quadratmeter Nutzfläche habe, für die sich 57 Millionen Mark im Jahr erzielen ließen. Tatsächlich aber wurde weniger als die Hälfte gebaut – und in die Kasse kamen dafür jährlich nur acht Millionen Mark. Es hätte die Banker in dem zweitürmigen Glaspalast nur einen zehnminütigen Spaziergang gekostet, sich mit den realen Größenverhältnissen vertraut zu machen. Aber sie glaubten einfach den gefälschten Unterlagen.

Die Menschen in 49 anderen Kreditinstituten vertrauten Schneider schon deshalb, weil er bei der großen Deutschen Bank so wohl gelitten war. Und auch die Handwerker verzichteten auf Sicherheiten. Sie reagierten zu Recht am panischsten, als Schneiders Flucht bekannt wurde. Hunderte von neuen Betrieben in Leipzig stünden vor dem Aus, hieß es. Denn nach dem Hypothekenbankgesetz werden die Kreditinstitute unter den Gläubigern bevorzugt behandelt.

Doch tatsächlich kam es nicht zu einer Pleitewelle. Die deutsche Bank übernahm die Bezahlung ausstehender Rechnungen. Das seien „Peanuts“, sagte Hilmar Kopper, Vorstandschef der Deutschen Bank, damals – das imageschädigendste Wort des Jahres 1994. Die Kosten gingen ein in die Kategorien Abschreibung, Verlustübernahme und Wertberichtigung der Bilanz – die dieses Jahr auch nicht höher ausfiel als sonst und dem hervorragenden Jahresabschluß keinerlei Abbruch tut. Insgesamt sieben Manager im Deutsche-Bank-Konzern mußten ihre Stühle räumen. Der Konkursverwalter hat inzwischen 62 Schneider-Projekte verkauft; den Rest halten die Banken vermutlich so lange, bis sich die Lage auf dem Grundstücks- und Gebäudemarkt wieder gebessert hat.

„Etwa die Hälfte ihrer Verluste dürfte die Deutsche Bank durch die Schneider-Immobilien abgesichert haben“, vermutet Hermannus Pfeiffer von der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik. „Und von den übrigen 600 Millionen sind rund 300 Millionen Steuerausfall.“ So war den Aktionären auf der Hauptversammlung am Donnerstag der Fall Schneider keine Bemerkung wert – nur drei Namensbrüder des Pleitiers wiesen darauf hin, daß sie weder verwandt noch verschwägert mit ihm seien. Annette Jensen