Die tierische Ebene

■ Die Hamburger Ausstellung "Vernichtungskrieg - Verbrechen der Wehrmacht 1941-1944" ist seit zwei Wochen in der Humboldt-Universität zu sehen

Es ist stiller als gewöhnlich im Foyer der Humboldt-Universität. Die Menschen bleiben stumm oder reden nur leise miteinander. Sie stehen vor den Tafeln einer Ausstellung, die das Morden der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg dokumentiert. Nach dem Hamburger Kulturzentrum Kampnagel ist die Humboldt-Uni der zweite Ort, an dem die Ausstellung des Hamburger Instituts für Sozialforschung, „Vernichtungskrieg – Verbrechen der Wehrmacht 1941-1944“, gezeigt wird. Fotos, Briefe und Tagebücher von Wehrmachtssoldaten zeigen, in welchem Ausmaß die Armee an der Ermordung von Zivilisten beteiligt war und zerstören den Mythos von der „sauberen Wehrmacht“.

Wie konnte man nur so etwas schreiben, fragen sich die Besucher angesichts von Briefzeilen wie diesen: „Vorgestern wurde ein Wehrmachtauto bei Durchfahren eines Dorfes angeschossen. Gottseidank hat man auch sofort das ganze Dorf durch Feuer dem Erdboden gleichgemacht. Die Bevölkerung wurde erschossen, die Kommunisten aufgehängt.“ Die Fotos zeigen Soldaten, die auf Leichenbergen herumtrampeln und andere, die abgeschlachtete Menschen als Trophäen vorzeigen.

Viele der Besucher von heute haben den Krieg als Kinder noch miterlebt. Aus den Erzählungen zurückgekehrter Verwandter setzte sich das Bild vom hartgesottenen, aber gerechten Soldaten zusammen. Richard Gericke, der aus Krefeld nach Berlin gekommen ist und jetzt vor den Ausstellungsdokumenten steht, erinnert sich besonders gut an einen Satz seines aus dem Krieg zurückgekehrten Onkels. „Manchmal haben wir eben ein Dorf angezündet, um den Gegner besser zu sehen“, hatte dieser berichtet und dem Jungen zu verstehen gegeben, daß dies im Gefecht üblich gewesen sei.

Später, der Junge war mittlerweile Politiklehrer, diskutierte Richard Gericke mit seinen Schülern über das nationalsozialistische Regime. Er wußte mittlerweile, daß Soldaten nicht nur Häuser, sondern Menschen gleich mit angezündet hatten. Ausnahmen, so dachte er. Jetzt erst wird ihm das „Ausmaß des Schrecklichen“ bewußt. Einmal muß der 64jährige fast weinen. „Da treibt man mit dem Entsetzen Scherze“, preßt er gequält hervor und deutet auf ein Foto, das Soldaten zeigt, die einem alten Mann den Bart abschneiden. Er versteht nicht, wie Menschen zu solchen Taten fähig sein können. „Ich hätte da nicht mitgemacht“, ist Gericke überzeugt. „Dann wären sie erschossen worden“, wirft ein anderer Mann ein, Manfred Siebert. Er will sich nicht davon überzeugen lassen, daß es die Möglichkeit gab, nein zu sagen.

Und weshalb sich überhaupt verweigern? „Die Nationalsozialisten wollten doch nur Europa vor den Bolschewisten beschützen“, wiederholt Siebert die alte Lüge. Als 16jähriger Soldat sollte Siebert das Nazireich retten und mußte mitansehen, wie seine Kameraden reihenweise fielen. „Opfer der Russen“, meint Siebert, einer, der ein Opfer der Verblendung war und geblieben ist.

Günter Gatzke bleibt lange vor den Fotos stehen, krampft immer wieder die Hände zur Faust zusammen. „Am schrecklichsten sind diese fiesen Gesichter“, sagt er verstört und sehr leise. Mit beiden Händen verdeckt er den Raum um ein Soldatengesicht. Was übrigbleibt, ist eine brutale und blöde grinsende Fratze. „Das ist die tierische Ebene. Aber die Wurzeln liegen da, wo man sich duckt und wegschaut“, ist sich der 60jährige Berliner sicher. Er läßt sich viel Zeit, und es dauert lange, bis er alle Fotos gesehen, alles Geschriebene gelesen hat. Dann geht er quer über die Straße zur Gedenkstätte für die Bücherverbrennung. „Damit hat es ja angefangen.“ Holger Heimann

Die Ausstellung ist bis zum 22. Juni zu sehen, täglich von 8 bis 20 Uhr und samstags von 8 bis 14 Uhr