Ajatollah Chomeinis Mordaufruf überleben

■ Irans Regierung wird die Fatwa gegen Salman Rushdie nicht aufheben, aber...

Berlin (taz) – Salman Rushdie muß weiter um sein Leben bangen. Daran ändern auch die jüngsten Stellungnahmen aus Teheran nichts, wonach die iranische Regierung das sogenannte Todesurteil gegen den britischen Schriftsteller nicht weiter verfolgen wird. Selbst wenn die von Ajatollah Chomeini 1989 verhängte Fatwa aufgehoben würde, könnte es fanatische Gruppen oder Einzelpersonen geben, die den Autor der „Satanischen Verse“ umbringen wollen.

Dennoch geben die Äußerungen eines namenlosen „hohen Regierungsbeamten im iranischen Außenministerium“ Anlaß zu vorsichtiger Hoffnung. Zwar haben Vertreter des iranischen Regimes in den letzten vier Jahren des öfteren signalisiert, daß die iranische Regierung niemanden beauftragen werde, Rushdie umzubringen. Aber die jetzige Äußerung hat erstmals annäherungsweise den Charakter einer offiziellen Verlautbarung. Zudem wurde ein Aufruf an im Ausland lebende Muslime angekündigt, die Gesetze des Gastlandes zu respektieren, was bedeutet: Rushdie soll in Ruhe gelassen werden. In Konturen wird so eine Lösung erkennbar. Sie wird jedoch sicher nicht darin bestehen, daß die derzeitige iranische Regierung reumütig zurücknimmt, was Chomeini verkündigt hat.

Denn in der schiitischen Theologie ist es nicht möglich, eine Fatwa aufzuheben. Sie ist eben kein Rechtsurteil, das revidiert werden könnte, sondern ein Gutachten. Theoretisch könnte jeder schiitische Gelehrte im Range eines Ajatollahs ein neues Gutachten schreiben, doch wäre das Problem dadurch nicht gelöst. Für Chomeinis Anhänger hätte dessen Fatwa nach wie vor Gültigkeit, denn für sie hat niemand eine vergleichbare religiöse Autorität wie der verstorbene Revolutionsführer. Schon gar nicht dessen politischer Nachfolger Ali Chamenei, dessen theologische Fähigkeiten unter schiitischen Geistlichen höchst umstritten sind.

Jeder Schiit hat die Freiheit, seinen religiösen Führer auszuwählen. Je größer die Anzahl der Gläubigen, die einem bestimmten Geistlichen folgen, desto höher ist sein Rang. Chomeini verfügte über ein Maß an Zustimmung, das derzeit kein Gelehrter im Iran vorweisen kann. Einzelne Schiiten können zwar die Fatwa eines anderen Gelehrten anerkennen, aber die Relevanz der Stimme Chomeinis bleibt davon unberührt.

Hinzu kommt, daß es sich angesichts der Machtkämpfe in Teheran kein Staatsvertreter leisten kann, Chomeinis Fatwa zu verurteilen. Dies käme politischem Selbstmord gleich. Das gilt sowohl für die sogenannten Hardliner um den religiösen Führer Chamenei, wie auch für die sogenannten Reformer um Präsident Haschemi Rafsandschani und seinen Außenminister Ali Akbar Welajati. Beide Seiten berufen sich auf Chomeini, und eine allzu deutliche Distanzierung von seinen Positionen gäbe der jeweils anderen Seite Anlaß für vernichtende Attacken.

Teheran versucht alles, um der Isolation zu entgehen

Dennoch scheint die iranische Regierung zu einer Beilegung des Konfliktes um Rushdie bereit zu sein. Nach dem Anfang des Monats von der US-Regierung gefaßten Beschluß, den Iran wirtschaftlich zu boykottieren, versucht Teheran alles, um nicht weiter in die Isolation zu geraten. Die jüngste Stellungnahme zu Rushdie bildet ein Zugeständnis an die Europäer. Ihnen soll es so erleichtert werden, ihre Wirtschaftsbeziehungen zum Iran aufrechtzuerhalten. Die Europäische Union hatte im Januar selbst eine Formel zur Lösung des Konfliktes vorgeschlagen, wonach sich Rushdie zumindest innerhalb Europas frei bewegen kann. Vorgestern berichtete die Teheran Times, daß „Hardliner in Teheran“ diese Initiative zwar nach wie vor als „Einmischung in die inneren Angelegenheiten oder neue Medienkampagne“ ablehnen, doch sehe das Außenministerium darin einen Wandel der EU-Position, auf den man „bald und mit Weisheit“ antworten werde.

Auch wenn es nicht hehre Ziele waren, die Teheran zur Kompromißsuche getrieben haben, sondern das Interesse am politischen Überleben bei desolater wirtschaftlicher Lage und wachsender Unzufriedenheit in der Bevölkerung, sollten die Europäer die Signale aus Teheran nicht unbeantwortet lassen. Allerdings müssen sie auf eine offizielle Zusicherung der iranischen Regierung dringen, Rushdie nicht zu verfolgen. Das dürfte im Bereich des politisch Möglichen im Iran sein, denn die Linie des pragmatischen Außenministers Welajati scheint in der iranischen Regierungspolitik an Dominanz zu gewinnen.

Die jüngste Entwicklung zeigt, wie flexibel die iranische Regierung sein kann, wenn ihr politischer und wirtschaftlicher Druck droht. Dagegen war und ist der sogenannte Kulturboykott gegen das Land eine Farce. Die kulturellen Beziehungen hätten noch 20 Jahre brach liegen können, ohne daß sich etwas in der Sache Rushdie bewegt hätte. Der Kulturboykott ist das Feigenblatt, um von den exzellenten politischen und wirtschaftlichen Beziehungen ablenken zu können. Er dient zur Gewissensberuhigung und hilft den Betonköpfen des Mullah-Systems, die sich gegen jeglichen Austausch mit der westlichen Welt stellen. Dagegen hat er die Künstler und Intellektuellen, die im Land unter hohen persönlichen Opfern für Veränderungen kämpfen, nur weiter isoliert. Navid Kermani