„Auch die Urteile gegen uns waren unzulässig“

■ Hagen Blau, ehemaliger Diplomat im Auswärtigen Amt und 1990 wegen jahrelanger Spionage für die DDR zu sechs Jahren Haft verurteilt, steht zu seiner Vergangenheit

Der Vortragende Legationsrat im Bonner Auswärtigen Amt, Hagen Blau, lieferte nach eigenen Angaben fast drei Jahrzehnte lang wertvolle Einzelheiten über die Bonner Außenpolitik an die Auslandsaufklärung der DDR, die von Markus Wolf geleitete HVA. Vor dem Düsseldorfer Oberlandesgericht gab Blau an, er habe mit seinen Hintergrundinformationen Vorbehalte der DDR gegenüber der Bundesrepublik abbauen helfen wollen. Er sah sich als Mittler, etwa beim Zustandekommen des deutsch- deutschen Grundlagenvertrages Anfang der siebziger Jahre. Der vierte Strafsenat des Düsseldorfer Gerichtes verurteilte den damals 55jährigen Diplomatem am 15. November 1990 wegen Spionage in einem besonders schweren Fall zu sechs Jahren Freiheitsstrafe. Gemeinsam mit anderweitig verurteilten HVA-MitarbeiterInnen, darunter der Diplomat Klaus von Raußendorff, die BND-Direktorin Gabriele Gast und der BND-Hauptmann Alfred Spuhler, gründete Hagen Blau die Gruppe „Kundschafter des Friedens fordern Recht“. Die Gruppe fordert unter anderem die Aufhebung aller bisher ergangenen Urteile und deren Rechtsfolgen.

taz: Herr Blau, zusammen mit anderen wegen Spionage verurteilten Kollegen und Kolleginnen fordern Sie, mit der Strafverfolgung früherer DDR-Spione endlich Schluß zu machen. Wie beurteilen Sie das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes?

Hagen Blau: Ohne daß ich den genauen Wortlaut des Urteils kenne, kann ich sagen: Wir begrüßen, daß diejenigen, die hauptamtlich aus der DDR heraus Aufklärung betrieben haben, besonders unsere alten Kollegen von der HVA, hiermit straffrei gestellt werden. Wir fühlen uns mit ihnen voll solidarisch. Außerdem haben die Bundesanwaltschaft, der Bundesgerichtshof und die Oberlandesgerichte, die geglaubt haben, hier auf strafrechtliche Weise vorgehen zu müssen, mit diesem Urteil eine deutliche Abfuhr erhalten. Dieses gilt besonders für das Urteil gegen Markus Wolf, das nun aufgehoben werden muß.

Sehen Sie in dem Karlsruher Urteil einen Beitrag zur Überwindung der Hinterlassenschaften des Kalten Krieges?

Uneingeschränkt ja, soweit diejenigen begünstigt werden, die aus der DDR heraus für ihren Staat gearbeitet haben. Daß diese Arbeit als nicht verfolgbar anerkannt wird, ist ein ganz wichtiger Schritt nach vorne.

Sie selber waren im Auswärtigen Amt als Mitarbeiter der HVA tätig und wurden dafür zu einer sechsjährigen Freiheitsstrafe verurteilt. Als Bürger der Bundesrepublik, der für die HVA gearbeitet hat, profitieren Sie vom Karlsruher Urteilsspruch nun aber überhaupt nicht, Ihr Urteil wird nicht aufgehoben.

Das Ergebnis des Urteils ist, daß nun einzig diejenigen als Kriminelle übrig bleiben, die von westlicher Seite aus für die DDR gearbeitet haben. Besonders erschwerend ist dieser Punkt, da ja das bundesdeutsche Parlament und die Regierung ihre eigenen Spione in der DDR bereits vor einiger Zeit rehabilitiert, von Strafe freigestellt und obendrein auch noch für ihre frühere Tätigkeit für den Bundesnachrichtendienst belobigt und belohnt haben. Wir bleiben bei unserer Haltung, daß auch die Urteile gegen uns nicht zulässig waren.

Das Verfassungsgericht hat aber eben diese Strafverfolgung ausdrücklich als zulässig bezeichnet. Es bliebe also nur der Weg einer Amnestie, die der Gesetzgeber beschließen müßte. Sehen Sie Chancen für eine solche Initiative?

Ob ensprechende politische Schritte unternommen werden, ist für uns schwer zu beurteilen. Aber wir sind weiterhin der Meinung, daß auch bei unseren Verurteilungen die zu schützenden Rechtsgüter mit der Vereinigung entfallen sind und daß diese Verurteilungen daher gegen den Gleichheitsgrundsatz verstoßen, den Grundsatz nach der Gleichbehandlung derjenigen, die Aufklärung betrieben haben, ob nun auf der einen oder der anderen Seite. Viele von uns haben Verfassungsbeschwerde eingelegt. Nach diesem Urteil klingt es so, als ob diese abschlägig beschieden werden. Wir haben uns aber bereits an die Europäische Menschenrechtskommission gewandt. Wir werden die Sache weiter auf diesem Wege verfolgen und unseren Rechtsstandpunkt dort weiterhin deutlich machen.

Der Fall der Mauer und der Zusammenbruch des real existierenden Sozialismus liegt mehr als fünf Jahre zurück. Wie beurteilen Sie im Rückblick Ihre frühere Spionagetätigkeit?

Damals, in der Zeit des Kalten Krieges, waren wir der Meinung, für ein besseres Deutschland zu arbeiten. Oder, wie wir es damals formuliert haben, wir glaubten, dem Frieden und dem Sozialismus gedient zu haben. Mit unserer Tätigkeit ist niemand zu Schaden gekommen, sie hat vielmehr der Verständigung gedient. Und daher stehen wir auch heute noch zu dem, was wir getan haben. Interview: Wolfgang Gast