Gesicht wahren – Gesundheit ruinieren

■ Koalitionsentwurf für Ozonverordnung: Regierung will hohe Grenzwerte und viele Ausnahmen / Fahrverbote unwahrscheinlich

Berlin (taz/dpa/AFP) – Der Bundesregierung ist die Gesundheit der Bevölkerung auch nach dreiwöchiger Ozondebatte völlig wurscht. Ihre am Mittwoch vorgelegte Ozonverordnung hätte in den letzten zehn Jahren nicht ein einziges Mal zu Fahrverboten geführt, so hat das Heidelberger Umweltinstitut UPI errechnet. Krebstote werden in Kauf genommen, Tempolimits sind hingegen in dem von Umweltministerin Angela Merkel (CDU), Wirtschaftsminister Günter Rexrodt (FDP), Verkehrsminister Matthias Wissmann und Kanzleramtschef Friedrich Bohl (beide CDU) erarbeiteten Vorschlag erst gar nicht vorgesehen.

Nach der geplanten Verordnung, die zunächst bis Ende 1999 gelten soll, ist ein Fahrverbot erst ab 270 Mikrogramm Ozon pro Kubikmeter Luft vorgesehen. Voraussetzung ist, daß der Ozongrenzwert an drei Meßstellen in einem Bundesland gleichzeitig eine Stunde lange erreicht wird. Diese Meßpunkte müssen mindestens 50 Kilometer und nicht mehr als 300 Kilometer voneinander entfernt liegen. Für die Stadtstaaten Bremen und Berlin gibt es Sonderregelungen. Weitere Voraussetzung ist, daß die Wetterprognose für den nächsten Tag einen weiteren hohen Ozonwert voraussagt.

Aber selbst wenn jemals alle diese Voraussetzungen erfüllt sein sollten, müssen sich die Blechkistenbesitzer keine Sorgen machen. Grundsätzlich freie Fahrt sollen Pkw mit Kat und gleichwertige Diesel sowie Lkw und Busse haben, wenn sie die Abgasnorm Euro I und II erfüllen. Auch wenn die Kiste nicht älter als fünf Jahre ist, darf die Polizei keine Strafgebühr kassieren. Motorräder können in den nächsten zwei Jahren ebenfalls weiterrasen.

Sollte das eigene Auto schon älter sein und keinen Kat haben, ist dies kein Grund zur Beunruhigung: Schließlich haben die Minister zahlreiche Ausnahmeregelungen ersonnen. Berufspendler dürfen ebenfalls weiter aufs Gaspedal treten, wenn ihnen öffentliche Verkehrsmittel, beispielsweise wegen zu großer Entfernung, nicht zugemutet werden können. Urlauber müssen eventuell die etwas lästige Pflicht auf sich nehmen und beim Amt eine Ausnahmebescheinigung besorgen. Wer sich, sollte es jemals zu einem Ozonalarm kommen, nicht an die Verordnung hält, muß mit 80 Mark Strafgebühr rechnen, droht die Regierung. Wie allerdings die Sommerfrischler ohne Ausnahmeschein und die Tagesausflügler in Schrottkisten identifiziert werden sollen, bleibt bisher ein Geheimnis der Regierung.

Die Erfinder der Ozonverordnung sind des Eigenlobes voll. Die Regelung sei die „richtige Mitte“ zwischen ökologischen Zielen und wirtschaftlicher Vernunft. Das „strategische Ziel“ sei die „Umrüstung der Fahrzeugflotte“, meint Verkehrsminister Wissmann. Wirtschaftsminister Rexrodt jedoch wiegelte ab, die Kfz-Industrie dürfe keinem übermäßigen Druck unterworfen werden. Auch Umweltministerin Merkel versucht das völlige Desaster als Erfolg zu verkaufen: „Damit sind wir vorbildlich in Europa.“ Sie räumte allerdings ein, daß der Grenzwert 270 Mikrogramm „nicht allzu häufig erreicht“ werde.

„Statt einer wirksamen und verbindlichen Sommersmog-Verordnung gibt es von der Bundesregierung für diesen Sommer einen Autofahrerschutzbrief von der Wissmann-Rexrodt-Versicherung“, kommentiert die verkehrspolitische Sprecherin der Bündnisgrünen in Bonn, Gila Altmann, den Vorschlag. Ihre Fraktion will nächste Woche einen eigenen Gesetzentwurf beraten, der ein bundesweites, ganzjähriges Tempolimit von 100 Stundenkilometern auf Autobahnen und 30 in Innenstädten sowie autofreie Sonntage von Mai bis Oktober vorsieht.

Die Umweltminister der SPD-regierten Bundesländer empörten sich ebenfalls über den Vorschlag. „Die Gesundheit muß Vorfahrt haben: Wir brauchen Geschwindigkeitsbegrenzungen bei Ozonwerten von 180 Mikrogramm“, so Willy Leonhardt (SPD) aus dem Saarland, der am Pfingstmontag mit den anderen Umweltministern aus SPD-regierten Ländern verabredet ist, um das weitere Vorgehen zu beraten. Merkel appellierte an den Bundesrat, die Vorlage nicht durch Anrufung des Vermittlungsausschusses zu verzögern. Verkehrsminister Wissmann gar spricht vom nötigen „guten Willen aller Beteiligten“, der die einzige Voraussetzung für die zügige Verabschiedung des Gesetzes sei. aje