Im Original dauert's länger

■ Welchen Verlag in Mexiko interessiert schon eine Einzelbestellung aus Berlin? Über die Schwierigkeiten, originalsprachige Literatur aus dem Ausland zu bekommen

Jorge Ibargüengoitia hat zwar einen unaussprechlichen Namen, aber er schreibt sehr amüsante Bücher. Auf deutsch sind von ihm die „Augustblitze“, „Die toten Frauen“ und „Zwei Verbrechen“ erschienen. Ibargüengoitia – er ist leider schon verstorben – beschreibt in seinen Novellen feinsinnig und zynisch die provinzielle Realität in seinem Heimatland Mexiko.

Will man als Mexiko- und Ibargüengoitia-Fan seine Bücher in Originalsprache lesen, so etwa auch das geniale, aber leider nicht übersetzte „Estas ruinas que ves“ („Diese Ruinen, die du siehst“), begibt sich der/die Suchende auf eine lange Reise durch die Buchhandlungen in Berlin. An deren Ende wird er oder sie wahrscheinlich in der Romanischen Buchhandlung Andenbuch landen.

Der Zeitaufwand für die Buchbestellung ist zu groß, und die meisten BuchhändlerInnen kennen das komplizierte Prozedere nicht. So geben die größeren Buchhandlungen wie Kiepert und die Universitätsbuchhandlung am Alex ihren KundInnen schon mal den Tip, die Romanische Buchhandlung aufzusuchen. Auch die Universitätsbibliothek oder das Iberoamerikanische Institut beziehen ihre Bücher teilweise über die Charlottenburger Buchhandlung.

Aber selbst Thomas Rübens, der Leiter von Andenbuch, steht bei seinen Bemühungen, originalsprachige romanische Literatur zu importieren, manchmal vor unüberwindbaren Schwierigkeiten. Es existieren kaum Bibliographien lateinamerikanischer Verlage oder lediglich veraltete beziehungsweise unvollständige; wie soll man also herausfinden, wo der Autor oder die Autorin publiziert hat?

Hat man endlich den Verlag herausgefunden, sollte man ihm die Bitte möglichst in der Landessprache übermitteln – wenn nicht, ist es schade um die Telefonkosten für das Fax. Aber Thomas Rübens hat als gebürtiger Uruguayer keine Probleme mit der Verständigung, weder sprachlich, noch was die notwendige Verhandlungsstrategie betrifft. Aber selbst ein auf spanisch oder portugiesisch verfaßtes Fax bewirkt noch keine Wunder.

Fachwissen durch Mundpropaganda

Welchen Verlag in Mexiko kümmert schon eine Einzelbestellung aus Deutschland? Viel zu aufwendig, also antwortet man erst gar nicht. Neben Mexiko ist Kuba das zweite Sorgenkind. Im Reiche Fidel Castros werden inzwischen wenig Bücher publiziert, das Papier ist zu teuer oder die SchriftstellerInnen sind ausgewandert. Wenn die ExilantInnen ihre Werke dann in Argentinien oder Kolumbien veröffentlichen, erfahren Interessierte eigentlich nur „durch Zufall“ davon, sagt Rübens. Viele Verlage bringen nur in unregelmäßigen Abständen Kataloge mit ihren Neuerscheinungen heraus. Mit größerer Wahrscheinlichkeit erfährt der Andenbuchhändler durch Mundpropaganda seiner KundInnen, die gerade aus dem entsprechenden Land zurückkehren, oder durch Zeitungsartikel von den jeweiligen Neuerscheinungen.

Gute Verbindungen hat Andenbuch in der Zeit seines zwölfjährigen Bestehens zu Argentinien und Brasilien aufgebaut. Nur drei bis vier Wochen dauern die Lieferzeiten für Bücher aus dem größten südamerikanischen Land. Damit ist Brasilien sogar schneller als sein ehemaliger Kolonialherr Portugal. Verlage und Vertriebe dort haben es nicht so eilig, zwei Monate sind hier der Durchschnitt.

Woran das liegt, kann sich Rübens auch nicht so recht erklären. Mit dem berüchtigten „mañana“ bearbeiten auch die SpanierInnen ihre Lieferungen ins nichtspanische Sprachgebiet. Dabei wären gerade spanische Vertriebe wichtig für die BuchhändlerInnen in Deutschland. Sie vertreiben nämlich auch einen großen Teil der lateinamerikanischen Literatur. „Planeta“, der größte spanische Verlag, der auch in Mexiko und Argentinien ansässig ist, hat zum Beispiel Mario Vargas Llosa unter Vertrag.

Außerdem können spanische und portugiesische Vertriebe und Verlage natürlich mit niedrigeren Preisen pokern. Sie haben viele der gängigen Titel aus Lateinamerika auf Lager, und für die deutschen BuchhändlerInnen entfallen so die horrenden Transport- und Überweisungskosten. Für die KundInnen in Berlin ist das natürlich von großer Bedeutung. Die BuchhändlerInnenrabatte heben sich selbst bei großen Bestellungen nach Übersee durch die Transportkosten wieder auf. Und eine Überweisung auf ein Konto bei einer mexikanischen Bank kostet mindestens 15 Mark, meist aber das Doppelte.

Eine Folge dieser Komplikationen ist, daß der Keller der Andenbuchhandlung überquillt. Die positive Seite: gängige Titel bekannter AutorInnen können die KundInnen aus dem gut sortierten Laden gleich mitnehmen.

Nicht nur die Post ist an Wartezeiten schuld

Frankreich hat inzwischen, so stellte Rübens fest, den nichtfranzösischen Markt entdeckt. Große Verlage schicken ihre VertreterInnen in andere europäische Länder, und die Lieferzeiten, die sich bis vor vier Jahren noch eher auf spanischem Niveau bewegten, haben sich jetzt auf drei bis vier Wochen reduziert. Doch Frankreich, auf das die Andenbuchhandlung sich nach der Schließung der librairie française vor eineinhalb Jahren und des fnac vor zwei Monaten verstärkt konzentrieren will, ist die Ausnahme von der Regel.

In der neubezogenen Buchhandlung in der Knesebeckstraße 20/21 führt der freiwillig Exilierte, der seit dreißig Jahren in Deutschland lebt, auch italienische und rumänische Bücher. „Italien“, so Rübens, „ist äußerst schwierig“, und das liege nicht nur an der Langsamkeit der italienischen Post. Im ehemals sozialistischen Rumänien habe sich leider eine Tendenz zu Trivialliteratur entwickelt. Erstaunlicherweise sei die Qualität der Publikationen unter der staatlichen Kontrolle Ceaușescus besser gewesen.

Erschwerend komme hinzu, daß die Bücher auf sehr billigem Papier produziert werden und die Druckqualität ebenfalls zu wünschen übrigläßt. In Rumänien sind die Werke dementsprechend billig und liegen ungefähr bei drei Mark. Durch das komplizierte Vertriebssystem, das über ZwischenhändlerInnen läuft, kann sich der deutsche Preis dann schon mal auf 20 Mark erhöhen.

Das Problem, im fremdsprachigen Ausland Literatur abzusetzen, kennen auch deutsche Verlage. Der Berliner Aufbau-Verlag hat zwar wenig Schwierigkeiten mit österreichischen oder Schweizer Buchläden, und auch in Italien und Frankreich gibt es einen Markt. In den beiden letzteren Ländern ist es jedoch einzelnen deutschen Buchhandlungen zu verdanken, daß deutschsprachige Literatur an den Mann oder die Frau kommt. Generell, so eine Mitarbeiterin der Vertriebsleitung, bewege sich der Absatzmarkt jedoch in einer „Größenordnung, die größer sein müßte“.

Die Andenbuchhandlung ist seit ihrer Gründungszeit jedoch nicht ausschließlich eine Buchhandlung. Sie hat sich zu einem Treffpunkt der Latino-Szene in Berlin und der Fan-Gemeinde Lateinamerikas entwickelt. Thomas Rübens unterstützt diese Funktion und bietet seinen KundInnen neben Büchern auch Lesungen und Ausstellungen an.

So wird am 10. Juni voraussichtlich Maria Bamberg, die Übersetzerin von Carlos Fuentes, aus ihren Memoiren lesen. Bis zum 17. Juni ist auch noch die Ausstellung „Indianische Holzbildhauerkunst aus Guerrero“ in der Knesebeckstraße zu sehen. Elke Eckert