Ausgefledderte Ohren

Mit einem Sieg der Gastgeber gegen Australien begann die Rugby-WM in Südafrika  ■ Aus Johannesburg Willi Germund

Südafrikas Straßen sind mit Fähnchen geschmückt. Der Umbau am Jan Smuts Flughafen in Johannesburg wurde nicht völlig fertig – alles wie gehabt bei großen Veranstaltungen. Am Donnerstag begann im Newlands-Stadion von Kapstadt mit dem Eröffnungsspiel zwischen Südafrika und Australien das drittgrößte Sportspektakel der Welt: rund 400 Millionen Fernsehzuschauer werden die Rugby- Weltmeisterschaften verfolgen. Das Treffen der 16 teilnehmenden Nationen ist das erste große internationale Sportereignis auf südafrikanischem Boden nach Jahrzehnten der Isolierung.

Es sei kein Zufall, so behaupten Spötter, daß ausgerechnet das rauhbeinige Rugby nach Jahrzehnten der Apartheid zuerst mit der WM nach Südafrika kommt. Denn während Fußball gemäß einem englischen Sprichwort der „Sport für Gentlemen, gespielt von Rowdies“ ist, gilt Rugby als „Sport für Rowdies, gespielt von Gentlemen“. (Die irische Variante Gaelic Football, wen wundert's, gilt den Briten als „Sport für Rowdies, gespielt von Rowdies“.) Kräftig gebaut sind alle Spieler beim Rugby: muskulöse Schultern, breiter Stiernacken und teilweise ausgefledderte Ohren gehören zur Grundausstattung. Im südafrikanischen Team sind zudem alle Athleten ausnahmslos weiß. Der einzige Schwarze im Aufgebot, Chester Williams, strahlt zwar von jeder Werbewand am Kap, aber auf dem Spielfeld wird er fehlen. Er leidet an einer Verletzung.

„Es wird das letzte Mal sein, daß unser Team nur aus Weißen besteht“, versprach Südafrikas Staatspräsident Nelson Mandela. Dem Rugby-Verbandsvorsitzenden Luc Luyt mag die augenblickliche Zusammensetzung dagegen nicht völlig unangenehm sein: Er spielte Anfang der 90er Jahre, Mandela war gerade aus dem Gefängnis entlassen worden, beim ersten internationalen Spiel der südafrikanischen Rugby-Auswahl die Buren-Hymne „Die Stem“ ab – obwohl vorher vereinbart worden war, auf dieses Symbol der Apartheid zu verzichten. Rugby-Fans, die aus lauter Freude über den Sport in Stadien wie Bloemfontein die Fahne des „Neuen Südafrika“ zu enthüllen gedenken, seien ebenfalls gewarnt: Ein blaues Auge und eine zerrissene Flagge sind voraussichtlich die unausweichliche Konsequenz.

Rugby, das war und das ist in Südafrika der Nationalsport der fünf Millionen Weißen. Die 35 Millionen Schwarzen und Farbigen begeistern sich lieber für Fußball – mit einigen Ausnahmen. In der Region um Kapstadt kennt der Sport, bei dem sich um eine eiförmige, schwer zu kontrollierende Form von Ball gebalgt wird, keine Rassenschranken. Und Terror Lekota, ein alter Kämpe des Widerstands gegen die Rassendiskriminierung, verdiente sich seinen Vornamen nicht mit raffiniert ausgeklügelten Anschlägen oder wegen einer etwaigen Vorliebe für besonders gewalttätige Aktionen. Nein, die Wärter auf der Gefängnisinsel Robben Island tauften ihn so, weil er bei Rugby-Spielen Angst und Schrecken in den Reihen des Gegners verbreitete.

Angst und Schrecken haben die Südafrikaner offensichtlich schon außerhalb des Spielfelds unter den Fans aus Übersee verbreitet. Ein Johannesburger Ehepaar räumte das eigene Haus und annoncierte gegen teure Devisen in Sportzeitschriften in aller Welt. Doch niemand antwortete auf das Ansinnen, für gute tausend Mark täglich das traute Heim in der Wirtschaftsmetropole Johannesburg zu beziehen. Reiseagenturen, die Anfang des Jahres ganze Hotels in Südafrika blockgebucht hatten, blieben auf ihren Reservierungen sitzen. Manche Hotels bieten ihre Zimmer jetzt sogar zum halben Preis an. Statt der erwarteten 35.000 Besucher aus Übersee kamen nur die Hälfte.

Selbst für das Eröffnungsspiel, bei dem die südafrikanischen „Springböcke“ den Mitfavoriten Australien völlig überraschend mit 27:18 besiegten, waren einige Tage zuvor noch mehrere tausend Eintrittskarten zu haben. Dabei galt dieses Spiel als Renner und stellte sich auch als solcher heraus. Vor allem Südafrikas Joel Stransky war in der hochklassigen Partie nicht zu bremsen und erzielte vor 51.000 Zuschauern im doch noch ausverkauften Newlands-Stadion allein 22 Punkte.

Außenseiter wie Japan, Exoten wie Tonga oder schwer zu kalkulierende Teams wie West Samoa, Argentinien oder Italien haben erheblich weniger Anziehungskraft. Doch das geringere Interesse hat zumindest einen Vorteil. Die Rugby-WM gilt als Bewährungsprobe für Kapstadts Olympia-Bewerbung im Jahr 2004 – und je weniger Gäste zu betreuen sind, um so kleiner dürften auch die logistischen Probleme ausfallen.