Die Männerdomäne aufbrechen

In Karlsruhe diskutierten rund 550 Frauen über Naturwissenschaft und Technik  ■ Von Andrea Melcher

Frauen brauchen auch heute noch ein hohes Maß an Selbstbewußtsein und Durchsetzungskraft, wenn sie sich in den Männerdomänen Naturwissenschaft und Technik behaupten wollen. Dies war ein Ergebnis des 21. Kongresses von Frauen in Naturwissenschaft und Technik, der gestern in Karlsruhe zu Ende ging. Vier Tage lang hatten sich über 550 Frauen aus dem gesamten Bundesgebiet mit den „Anwendungen von Naturwissenschaft und Technik“, so einer der Schwerpunkte, kritisch auseinandergesetzt.

Themen waren unter anderem Umwelt-, Informations-, Bio- und Kommunikationstechnologien, ferner die Nutzung von Atomenergie und regenerative Energien, Technikfolgenabschätzung, Gentechnologie sowie deren Auswirkungen auf Frauen. Im Mittelpunkt stand dabei die Diskussion alternativer, feministischer Lösungsansätze in Verbindung mit einer grundlegenden Kritik an der „herrschenden“ Lehre. Auf lebhaftes Interesse stießen die Thesen der US-amerikanischen Professorin für „Women's Studies“, Londa Schiebinger von der Pennsylvania State University, die über den Einfluß von Frauen auf den wissenschaftlichen Prozeß referierte. Frauen brächten, so Schiebinger, die sich derzeit als Gast an der Göttinger Universität aufhält, eine neue Blickrichtung in die Wissenschaften ein.

Ein alternatives Wissenschaftsverständnis wurde auch in einem Vortrag über die Geschichte des Naturbegriffs entwickelt. Großen Raum nahm die gezielte Karriereplanung von Frauen ein. „Dies dokumentiert die neue Selbstverständlichkeit, mit der Frauen an ihrer Karriere arbeiten“, erklärte Gabriele Blodau von der Vorbereitungsgruppe. Auf früheren Kongressen seien demgegenüber eher Themen wie „Frauenförderung“ oder „Selbstbehauptung“ behandelt worden. Erfreut zeigten sich die Organisatorinnen über die große Resonanz auf den Karlsruher Kongreß. Obwohl die Zahl der Teilnehmerinnen beim Gießener Kongreß im vergangenen Jahr auf 300 gegenüber 700 Interessentinnen im Jahr 1993 zurückgegangen war, konnten sie 1995 wieder einen deutlichen Anstieg verzeichnen. Dies zeigt, daß auch im achtzehnten Jahr seit Bestehen des Kongresses nach wie vor ein großes Bedürfnis nach Reflexion, Austausch und Diskussion von Frauen untereinander besteht.

„Der Kongreß ist in erster Linie dadurch geprägt, daß heute mehr Frauen in Naturwissenschaft und Technik tätig sind“, beobachtete eine „Frau der ersten Stunde“, die seit der Gründung des Kongresses – das war 1977 an der TU Aachen – die Entwicklung aufmerksam verfolgt. Die Veranstaltung sei, obwohl immer noch autonom organisiert, professioneller geworden im Hinblick auf Angebote, Inhalte und Rahmenprogramm. „Heute ist es einigermaßen selbstverständlich, daß Frauen selbst im traditionell männlich dominierten Maschinenbau vertreten sind, wenn auch deutlich unterrepräsentiert. In den 70er Jahren waren wir in diesem Fachbereich lediglich drei Frauen, wir wurden angestarrt wie fremde Wesen.“ Auch die Form der Diskriminierung von Frauen habe sich geändert. Sie sei subtiler, da heute selbst der größte Macho es kaum noch wage, sich offen frauenfeindlich zu gebärden. Viele Frauen fühlen sich fachlich akzeptiert, haben sie sich erst einmal etablieren können. „Allerdings müssen sich Frauen ständig neu beweisen, sobald sie ihr gewohntes Umfeld verlassen und eine neue Tätigkeit ausüben, sei es in der Industrie oder an der Hochschule. Es ist ein ewiger Anfängerinnenstatus“, beklagte eine Frau, „außerdem wird kompetenten Frauen oftmals ihre Weiblichkeit abgesprochen.“

Das Problem seien nach wie vor gesellschaftliche Vorurteile und die Benachteiligung vieler Frauen am Arbeitsplatz, wenn sie angemessen bezahlt werden oder in Führungspositionen aufsteigen wollen. Dies gelte auch für die deutschen Hochschulen, an denen der Professorinnenanteil lediglich fünf Prozent betrage. Die Frauenquote bei Habilitationen belaufe sich auf acht, bei Promotionen auf 25 Prozent.

„Alarmierend ist“, so die Organisatorinnen, das Ergebnis einer Umfrage, bei der 1.300 Teilnehmerinnen früherer Kongresse zur Situation von Frauen in Naturwissenschaft und Technik befragt worden waren. „Besonders eklatant sind die Aussagen eines Großteils der befragten Studentinnen, berufstätigen und erwerbslosen Frauen, daß sie weder dieses Studienfach noch einen Beruf auf diesem Gebiet noch einmal wählen würden“, resümiert die Diplombiologin Renate Michel aus Karlsruhe. Sie hatte die Studie, die vom Ministerium für Familie, Frauen, Weiterbildung und Kunst in Baden-Württemberg finanziell unterstützt wird, zusammen mit den Sozialwissenschaftlerinnen Catrin Freyer und Karin Kleinn aus Freiburg erarbeitet. „Wir führen dies in erster Linie darauf zurück, daß Naturwissenschaftlerinnen wenig Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben und häufig arbeitslos sind“, so Renate Michel. Eine Dokumentation der Umfrage sowie der Kongreßbericht sollen im Oktober dieses Jahres erscheinen.

Positive Zukunftsaussichten entwerfen demgegenüber die Professorinnen Martha Samsel-Lerch und Cosima Schmauch von der Fachhochschule Karlsruhe. Aufgrund einer Überalterung der Professorenschaft vor allem in den Ingenieur- und Naturwissenschaften sowie in Mathematik werden an den deutschen Universitäten zwischen 1996 und dem Jahr 2005 rund 1.500 ProfessorInnenstellen frei. An den Fachhochschulen werden es sogar rund 4.000 Stellen in diesen Fachbereichen sein, die in den nächsten Jahren neu ausgeschrieben werden müssen. „Dadurch entstehen für qualifizierte Frauen vermehrt Chancen, berufen zu werden“, unterstrich Samsel-Lerch ihren Optimismus. Attraktiv sei dies vor allem für Frauen, die Familie und Beruf vereinen wollen. „Frauen mit den entsprechenden Qualifikationen sollen sich unbedingt bewerben, damit die Zahl der Professorinnen endlich zunimmt.“