Straßenschlacht, um Rasen zu schützen

Nachbereitung eines Polizeieinsatzes mit hundert Verletzten: Wie die Staatsmacht in der Walpurgisnacht Fehler von Kommunalpolitikern mit Knüppelei und Tränengas korrigieren wollte  ■ Von Dirk Wildt

Der Anlaß war lächerlich. Gegen neun Uhr abends stellte ein Polizeibeamter den Verstoß gegen die Verordnung zum Schutz von Grün- und Erholungsflächen fest. Es war der 30. April, und zu diesem Zeitpunkt feierten mehrere hundert Anwohner und Gäste auf der neu angelegten Rasenfläche des Kollwitzplatzes im Prenzlauer Berg die Walpurgisnacht. Es folgte: ein mehrstündiger Einsatz mit Schlagstöcken, Wasserwerfern, Räumpanzern und Tränengas sowie hundert Verletzten.

Die Polizei zählte in ihren Reihen 72 Opfer, von denen ein halbes Dutzend im Krankenhaus behandelt wurde. Die Zahl verletzter Festteilnehmer dagegen ist unbekannt; 19 aber kamen ebenfalls ins Krankenhaus. Der Sachschaden auf dem Platz soll sich auf 26.400 Mark belaufen, schätzte Bezirksbürgermeister Manfred Dennert (SPD) vor dem Innenausschuß, der gestern Zeugen zum Verlauf der Walpurgisnacht hörte.

Bei der umfänglichen Anhörung stellte sich heraus, daß lange vor dem 30. April das Bezirksamt einen verhängnisvollen Fehler begangen hatte. Es hatte den Kollwitzplatz mit einer Grünfläche für eine Million Mark neu gestaltet und deswegen die seit dem Wendejahr 1989 dort veranstaltete Walpurgisnacht verboten. Diese aber habe dort eine besondere Bedeutung, berichtete Ernst Frieder Kratochwik von der Betroffenenvertretung Kollwitzplatz, weil sich die Anwohner am 30. April 1989 gegen die DDR-Volkspolizei eine Benutzung des Platzes ertrotzt hätten. Fünf Jahre später komme dann die Polizei eines vereinigten Berlins und befehle über Lautsprecher: „Gehen Sie nach Hause.“ Natürlich habe man sich nicht sagen lassen, wo man hinzugehen habe, sagte Kratochwik.

Die Staatsmacht zeigte sich trotz dieser Beschreibung nicht nachdenklich. Polizeipräsident Hagen Saberschinsky faßte den Verlauf des 30. April mit den sparsamen Worten zusammen: „Alkohol, Lärm, Feuer, Sachbeschädigung.“ 650 seiner Mitarbeiter seien „weitgehend zurückhaltend“ vorgegangen. Innensenator Dieter Heckelmann (CDU) nickte. Erst hätten diese mit eigenen Handlöschern drei Feuer auf dem Platz ersticken wollen – erfolglos. Die dann alarmierte Feuerwehr sei mit Steinen und Flaschen beworfen worden. Die Flammen schlugen schon „fünf bis acht Meter“ in die Höhe, Bäume und selbst Häuser seien durch Funkenflug gefährdet worden, und deshalb sei eine Räumung des Platzes nicht mehr abzuwenden gewesen, meinte der Polizeichef.

Auch der Bericht von Augenzeugin Marianne Birthler, ehemalige Bildungsministerin von Brandenburg und Kollwitzplatz-Anwohnerin, veranlaßte den Polizeichef zu keinem Stirnrunzeln. Sie will beobachtet haben, wie ein Wasserwerfer gegen zwei Uhr nachts einen Rollstuhlfahrer „allein mitten auf dem Gehweg“ wegspritzte und mit dem Wasserstrahl auf einen Kellner zwischen Tischen des Cafés Westphal zielte und den Mann über den Gehweg schleuderte. Auch andere Augenzeugen berichteten, daß der Wasserwerfer seinen Strahl auf Unbeteiligte und in offene Eingänge von Kneipen gerichtet habe. In die Menge auf dem Kollwitzplatz sei darüber hinaus unangekündigt Tränengas geworfen worden. Saberschinsky sicherte zwar zu, die Vorwürfe „in Form von Ermittlungsverfahren abzuarbeiten“, nahm die Kritik Betroffener aber nicht sonderlich ernst. Diese hätten keinen Überblick über die Gesamtsituation haben können, erklärte er.

Bei Bezirksbürgermeister Dennert haben die Ereignisse am 30. April wohl einen Denkprozeß ausgelöst. Er begrüßte nur noch, daß das Feuer auf dem Kollwitzplatz irgendwann gelöscht war, aber nicht mehr die Art und Weise des Polizeieinsatzes. Doch ob er auch zukünftig Straßenschlachten riskiert, um Grünanlagenbeschlüsse des Bezirks durchzusetzen, wollte er nicht sagen.