Raiffeisen gegen Geschäftsfrauen

Frankfurter Huren wollen als „Logisgenossenschaft“ ein eigenes Bordell gründen, um ihre Arbeitsbedingungen zu verbessern. Das wird vom geltenden Recht behindert – und vom Genossenschaftsverband  ■ Von Heide Platen

Der schmale Ladeneingang zwischen Fisch- und Gemüsegeschäft im Frankfurter Bahnhofsviertel führt in einen hellen Raum. Weiße Tischchen, weiße Stühle, weißer Fußboden, wie in einem postmodernen Bistro. Im Schaufenster klebt das Motiv der Betreiberinnen, ein halbierter Apfel mit stilisiertem Kerngehäuse in der Mitte und dem Schriftzug „HWG Prostituiertenselbsthilfe“. HWG steht seit 1984 für „Huren wehren sich gemeinsam“. Seit drei Jahren wollen sie auch gemeinsam Unternehmerinnen, Genossenschafterinnen werden.

Erfolge, zum Beispiel die Abschaffung von Registrierung und Zwangsgesundheitsuntersuchung mit „Bockschein“, hatten sie immer wieder. Der Verein (der seinen Namen in Anspielung auf die Behördenbezeichnung von Prostituierten als „HWG-Personen“, Personen mit „häufig wechselndem Geschlechtsverkehr“, gewählt hat) setzte sich in akribischer, zäher Informationsarbeit gegen Klischees über die Frauen mit dem Beruf Hure ein, stritt gegen alle Parteien der wechselnden Stadtregierungen gegen Sperrgebietsverordnungen.

„Brachiale Zuhälterei ist selten geworden“

Das ist der Diplomsoziologin Christine Drößler wichtig. Wichtiger aber ist es ihr, endlich auch durchzusetzen, daß Sexarbeiterin ein Beruf ist, daß Huren Dienstleistungen anbieten wie andere auch, daß sie in der Branche Sexindustrie „ganz normal“ ihrer Arbeit nachgehen. Nur haben sie bisher weder Kranken- noch Renten- und Sozialversicherung. Dabei sind sie mit von der Berliner Selbsthilfegruppe Hydra geschätzten bundesweit 400.000 Arbeitsplätzen ein Wirtschaftsfaktor und, nach Verkäuferinnen und sozialen Diensten, die drittgrößte Beschäftigtengruppe von Frauen. Der Trend in der sexuellen Dienstleistungswirtschaft geht, so Drößler, zur Spezialisierung. Und auch an der Prostitution gehen Rezessionen nicht vorbei. Die in Frankfurt aktiven rund 1.500 Sexarbeiterinnen merken den Kundenrückgang deutlich: „Die Preise sind stabil geblieben, Mieten und Nebenkosten in Bordellen aber rapide angestiegen.“ Die Sperrgebietsverordnung vernichtete durch Raumverknappung nicht nur Arbeitsplätze, sondern ließ auch in den verbliebenen Bordellen die Tagesmieten explodieren und machte die Frauen abhängiger von den BetreiberInnen auch „mieser und schmuddeliger“ Bordelle. Viele Hurenhäuser im „Rotlichtviertel“ sind, so Drößler, längst nicht mehr plüschig und erotisch, sondern schäbig bis pflegeleicht wie ein Resopalküchentisch. 1990 richtete die HWG herbe Kritik an SPD und Grüne, die „entgegen ihren Wahlversprechen“ die noch von der CDU durchgesetzte Sperrgebietsverordnung übernahmen und „massiv verschärften“.

Die Sexarbeiterinnen sind, nach dem Willen der HWG, selbständige Unternehmerinnen. Sie sollen also auch, so Drößler, „als autonom wirtschaftende Subjekte“ agieren können. Funktion und Berufsbild des Zuhälters haben sich ohnehin gewandelt. Drößler: „Brachiale Zuhälterei ist mittlerweile selten geworden.“ Es gebe am Main nur noch wenige, und die klagten schon vor Jahr und Tag, daß „die Frauen“ in Frankfurt „alles selber machen“ – vor allem, wenn sie weiß sind, einen deutschen Paß haben und damit zur bestbezahlten und selbstbewußtesten Gruppe von Prostituierten gehören.

Diese engagieren sich „ihren“ Zuhälter nur, wenn sie das selbst wollen. Der Mann fungiert dann als Manager und Organisator, sorgt für die Sicherheit, übernimmt die Reproduktion und wird dafür bezahlt. Ungerecht finden die Frauen, die oft als Ernäherinnen der Familie arbeiten, daß auch ihre Lebensgefährten noch immer als Zuhälter gelten und bestraft werden können, während andere Frauen daheim ihren „Hausmann“ haben. Die Frauen hätten es „im Milieu“ sowieso schon schwer genug, geeignete Partner zu finden. Das, so Drößler, „verkraftet eben nicht jeder Mann“.

Sieben Frauen gründeten 1991 die „Freudenhausgenossenschaft i.G.“, deren Ziel ein selbstverwaltetes Bordell ist. Die Genossenschaft, fanden sie, sei „die demokratischste Rechtsform“ für ein Unternehmen. Daß die Beteiligung daran ein hohes Maß an bewußtem Handeln erfordert, ist Christine Drößler klar: „Die Verwaltungsarbeit muß unentgeltlich geteilt werden.“ Außerdem müssen die Frauen, die „meist gebrannte Kinder sind“, bei Behörden und GeschäftspartnerInnen Unterschriften leisten: „Das verlangt ein gewisses Coming-out.“

Hinter überwindbaren juristischen und organisatorischen Klippen taten sich dann allerdings moralische Widerstände auf. Und die liegen derzeit beim Genossenschaftsverband Hessen, Rheinland-Pfalz und Thüringen, in den jedes Unternehmen, das als Genossenschaft firmieren will, eintreten muß. Dessen Gutachter hatten wirtschaftliche und steuerliche Aspekte sowie den Zweck des Unternehmens zu prüfen.

Und die Prüfer sahen wohl die offensichtliche Wirtschaftlichkeit eines alternativen Bordells, fanden auch steuerrechtlich nichts auszusetzen. Bedenken inhaltlicher Art könnten, so die Gutachter, durch eine Satzung ausgeräumt werden, in der die Beschäftigung Minderjähriger, von Frauen ohne Aufenthaltserlaubnis und Zwangsmaßnahmen gegen Mitarbeiterinnen und Genossenschafterinnen ausgeschlossen werden. Daß sich der eigentlich durchaus wohlwollende Sachbearbeiter an der Bezeichnung „Freudenhausgenossenschaft“ rieb, kommentiert die HWG-Chefin Cora Molloy sanft ironisch: „Wir waren gute Huren und legten eine kantenlose Satzung vor, änderten den Namen in „Logisgenossenschaft L'Étoile Bleu“ und harrten dann der schwesterlichen Vereinigung mit Genossenschaftsbanken, -fleischereien und zahlreichen anderen.“

Aber der Sachbearbeiter und die Sexarbeiterinnen hatten nicht mit dem Widerstand ebendieser Mitglieder gerechnet. Der Verband lehnte die Aufnahme mit dem Hinweis auf den Protest einiger Banken ab, die rund ein Drittel der stimmberechtigten Unternehmen stellen: „Wir wollen nicht verhehlen, daß die Art Ihrer Genossenschaft den Verbandsinteressen, insbesondere denen der Volks- und Raiffeisenbanken, zuwiderlaufen dürfte.“ Kurz: „L'Étoile Bleu“ sei „unzumutbar“. Cora Molloy fragte sich nach dieser Erfahrung: „Wie reagieren die Sozialversicherungsträger, wenn eine Bordellgeschäftsführerin eine Arbeitgebernummer beantragt und Pflichtbeiträge für Beschäftigte abzuführen beginnt?“

Die Frauen empfinden die gesetzlichen Hürden, die angeblich ihrem Schutz vor Zuhälterei und Brutalität dienen sollen, als Farce. Die Paragraphen 180a und 181a verbieten die Förderung der Prostitution. Und das könnte dann der Fall sein, wenn sie gemeinsam „geblümtes Klopapier anschaffen“. Oder wenn sie, wie geplant, eine Sozialarbeiterin anstellen. Sie verstoßen also gegen geltendes Recht, wenn sie für sich und andere Frauen bessere Arbeitsbedingungen schaffen.

Die Sexarbeiterinnen berufen sich deshalb auf den Artikel 12 des Grundgesetzes, der die freie Berufswahl garantiert. Soviel Selbstbestimmung mochten Verwaltungsgerichte und Bundesgerichtshof den Huren allerdings bisher nicht zugestehen. Sie sorgten sich um die Menschenwürde und kamen zu dem Schluß, daß „die gewerbsähnliche geschlechtliche Hingabe gegen Bezahlung in entwürdigender Weise Intimbereiche zu Ware macht“. Dem halten die Huren entgegen, daß – trotz schlimmer Einzelfälle – das Bild der dummen oder brutal geknechteten Hure auch davon ablenke, daß intime Lebensbereiche auf vielfache Weise vermarktet werden. Außerdem belege die kriminologische Forschung, daß im Milieu „der Typ der selbständigen Geschäftsfrau vordringt“.

Im Bundestag müht sich allein die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen um die arbeitsrechtliche Gleichstellung der Sexarbeiterinnen. Der Neuentwurf einer Ende der achtziger Jahre schon einmal gescheiterten Gesetzesinitiative wird derzeit wieder in den Arbeitskreisen beraten. Außerdem ist eine Anhörung geplant.

„Bei der Architektur sind wir zur Zeit in“

An Entwürfen für ihr Bordell der Zukunft, hell, übersichtlich, mit „Licht, Luft, Service, einfach Normalität“ und „vielleicht unten einem Laden mit normalen Preisen und arbeitsgerechten Einkaufszeiten“, werden die HWG-Frauen jedenfalls keinen Mangel haben. „Bei der Architektur“, stellte Christine Drößler fest, „sind wir zur Zeit in.“ Auch ArchitekturstudentInnen der Technischen Hochschule Darmstadt haben sich von der HWG bei der Konzeption eines Hurenhauses beraten lassen. Ihre funktionsorientierten Modelle mit Whirlpools, Kontakt- und Rückzugsräumen sind allerdings für die Frankfurterinnen weit von der finanzierbaren Realität entfernt.

Sie wollen wirtschaftlich und bescheiden mit einem Haus oder einer Wohnung zunächst für fünf, dann vielleicht für zwölf Frauen anfangen. Das werde bei den Frankfurter Miet- und Grundstückspreisen, vermuten sie, schwer genug werden. Ein gutes Angebot hat sich wegen der langwierigen Verhandlungen um die Gründungszulassung wieder zerschlagen.

Räume aber müssen sie, so eine weitere Hürde des Genossenschaftsverbandes, zur Garantie des erfolgreichen Betriebes ihres Unternehmens, vorweisen können. Die HWG hat sich also wieder auf die Suche nach einer geeigneten Unterkunft gemacht, weil das, vermuten die Frauen, immer noch weniger Zeit brauchen wird als der langwierige Klageweg um die „ganz normale“ Aufnahme in den Genossenschaftsverband.