■ Gerade hatte der West-PEN nach langem Streit beschlossen, sich nicht mit dem Ost-PEN zu vereinigen, weil ihm die Ex-Dissidenten vorwerfen, den moralischen Forderungen seiner Charta...
: Fürsorgliche Belagerung, geteilter Himmel

Gerade hatte der West-PEN nach langem Streit beschlossen, sich nicht mit dem Ost-PEN zu vereinigen, weil ihm die Ex-Dissidenten vorwerfen, den moralischen Forderungen seiner Charta nicht genügt zu haben – schon unterlaufen einige Mitglieder des West-PEN den Beschluß durch Doppelmitgliedschaft

Fürsorgliche Belagerung, geteilter Himmel

Die Situation ist eindeutig und undurchsichtig zugleich. Da gibt es zwei deutsche PEN-Zentren, die sich eigentlich vereinigen sollen. Das allerdings geht im Moment nicht, da eine starke Fraktion im West-PEN um ehemalige DDR-Dissidenten wie Günter Kunert und Hans Joachim Schädlich der Ansicht ist, der ostdeutsche Bruderklub sei immer noch ein Hort ehemals staatstreuer Stasi- Schriftsteller. Da gibt es West-Mitglieder, die Moral haben, weil sie moralisch sind; und es gibt etwa 150 Ost-PEN-Mitglieder (der West-PEN hat cirka 500 Mitglieder), von denen niemand so recht weiß, ob es unter ihnen tatsächlich noch schwarze Schafe gibt, die zu DDR-Zeiten gegen die Menschenrechts-Charta des PEN verstießen.

Während der Jahrestagung des West-PEN kürzlich in Mainz wurde beschlossen, den anrüchigen Ost-Verein vorerst links liegen zu lassen. Die Realität holte den Beschluß allerdings ein, bevor er sich in den Feuilletonspalten richtig absetzen konnte.

Am Wochenende haben mehr als sechzig Mitglieder des West- PEN eine Doppelmitgliedschaft im PEN-Ost beantragt, da sie mit dem Unvereinbarkeitsbeschluß nicht einverstanden sind. Das Präsidium des Ost-Clubs hat daraufhin am Montag abend beschlossen, die Schriftsteller in die eigenen Reihen aufzunehmen, unter ihnen prominente Namen wie Johannes Mario Simmel, Walter Jens, Leonie Ossowski, Günter Grass, Klaus Wagenbach, Peter Rühmkorf, Ulrich Wickert, Franz-Josef Degenhardt und Marion Gräfin Dönhoff.

Die Möglichkeit der „Doppelmitgliedschaft“ war schon bei der Jahresversammlung immer wieder erwähnt worden. Durch den Schritt der Doppelmitglieder und des Ost-PEN könnte der Beton in den Ost-West-Beziehungen aufbrechen. Der Preis allerdings ist hoch. Ingrid Bachér, die neue Präsidentin des West-PEN, brachte die Doppelmitgliedschaft selbst ins Gespräch. Jetzt, da eine große Zahl ihrer Mitschwestern und -brüder zur Tat geschritten ist, sieht sie schwarz für die Zukunft des West-PEN. Droht dem zerstrittenen Klub eine weitere, vielleicht sogar definitive Zerreißprobe?

Laxe Haltung in moralischen Fragen

Ingrid Bachér ist zur Verwalterin eines Scherbenhaufens geworden, bevor sie einen einzigen selbständigen Schritt tun konnte. Inhaltlich sei sie auf keinen Fall gegen Doppelmitgliedschaften, betont sie, meint aber, der vorläufige Unvereinbarkeitsbeschluß sei dringend notwendig gewesen, da im Moment wieder radikale Strömungen an Terrain gewinnen würden, „die von der laxen Haltung der Gesellschaft in moralischen Fragen profitieren“. Und weiter: „Die Anträge auf Doppelmitgliedschaft sind für mich lediglich eine versöhnlerische Großgeste, damit wir uns alle zusammen wohlfühlen. Aparterweise war ich zum Beispiel mit Günter Grass immer einer Meinung, daß die schnelle deutsche Vereinigung falsch war. Jetzt plötzlich, da er mit Christa Wolf und Andrzej Sczcypiorsky durch Polen reist, ist er gerührt. Und wenn er hört, wir wollten den Eisernen Vorhang wieder herunterlassen, sagt er sofort, er würde aus dem West-PEN aus- und in den Ost-PEN eintreten. Das ist ein Affront gegen die Dissidenten in unserem Club.“

Andere sehen das anders. Johannes Mario Simmel etwa, der während der Jahrestagung als einziger darauf hinwies, daß man sich mit dieser Diskussion schon längst vor der Weltöffentlichkeit lächerlich gemacht habe, meint: „Natürlich muß der Ost-PEN mit stasibelasteten Mitgliedern in den eigenen Reihen fertig werden. Das müssen sie aber selbst tun, und das kann nicht bedeuten, daß wir in der Zwischenzeit großherrlich den Dialog verweigern. Von dieser entsetzlichen deutschen Eigenschaft, selbst überaus ehrbar zu sein und über andere zu richten, halte ich nichts, obwohl ich allen Grund hätte, mich als Richter aufzuspielen. Meine Bücher waren in der DDR verboten, und ich bekam kein Einreisevisum. Außerdem muß ich sagen, daß außer Günter Grass und mir wahrscheinlich noch viele andere aus dem West-PEN ausgetreten wären, hätte es nicht die Möglichkeit der Doppelmitgliedschaft gegeben. Wäre das vielleicht besser gewesen?“

Wessis im Ost-PEN versus Ossis im West-PEN

Sollte Simmel demnächst an Veranstaltungen des Ost-PEN teilnehmen, wird er dort auf K.D. Wolff vom Frankfurter Verlag Stroemfeld/Roter Stern treffen, der zusammen mit Klaus Theweleit und anderen schon vor der jetzigen Beitrittswelle westdeutscher Schriftsteller, Journalisten und Verleger neu in den Ost-PEN gewählt wurde. Wolff ist Präsidiumsmitglied und meint, der jetzige Ost-Club habe so gut wie nichts mehr mit dem Verein zu tun, der vor der deutschen Vereinigung als verlängerter Arm des Regimes funktionierte. Der Frankfurter Verleger ist eines der neuen ominösen Ost-Mitglieder, die die meisten im West-PEN nicht einmal namentlich kennen.

K.D. Wolff meint, die breite Öffentlichkeit habe die Veränderungen im Ost-PEN bisher nicht wahrgenommen. Das verwundert ihn nicht, eines allerdings überrascht ihn: „Daß Leute wie Günter Kunert und Hans Joachim Schädlich, die ganz genau wissen, daß die meisten der neuen Ost-Mitglieder unbelastet sind, Front gegen die Vereinigung machen. Verwunderlich finde ich auch, daß sich Yaak Karsunke als ehemals DKP-naher Schriftsteller auf diese Seite schlägt und F.C. Delius sich nicht zu Wort meldet, der die Veränderungen im Ost-PEN genau verfolgt hat.“ Mit Veränderung meint K.D. Wolff, daß dem jetzigen Ost-Präsidium Beate Morgenstern, Kerstin Hensel, Christoph Dieckmann und Christoph Links angehören, denen einige der West-Mitglieder bestenfalls vorwerfen können, daß sie eine weißere Weste haben, als sie selbst gerne hätten. Veränderung bedeutet auch, daß in den letzten Jahren ein Teil der Mitglieder zum Austritt bewegt wurde, die eindeutig zu den DDR-Wasserträgern zählten.

Allerdings hat der Ost-PEN – auch das gehört zu den Ost-West- Untiefen – tatsächlich Probleme mit letzten Stasi-Mitarbeitern in den eigenen Reihen. Genannt werden immer wieder Hans Marquardt, ehedem Chef des Reclam- Verlages und durch Franz Fühmanns Gauck-Akten als IM bekannt, und Heinrich Erich Köhler, der in den Akten von Klaus Schlesinger als Spitzel auftaucht. Joachim Walther, der die Gauck-Akten studiert und dessen Buch über den Einfluß der Stasi auf DDR-Literaten im Herbst erscheinen wird, meint denn auch, dem Reinigungsprozeß im Ost-PEN mangele es an Konsequenz. Dem stimmt auch F.C. Delius zu: „Man kann die moralische Frage nicht allein auf die Stasi-Mitarbeit reduzieren. Aus dem Ost-PEN wurden Schriftsteller rausgeschmissen mit der aktiven Mithilfe von Leuten, die heute noch drin sind.“

Joachim Walther stört vor allem, daß sich der jetzige Ost-Club in seinen Statuten immer noch ausdrücklich als Rechtsnachfolger des DDR-PEN Versteht. Er hat den Mainzer Unvereinbarkeitsbeschluß mitgetragen und gegenüber den neuen Doppelmitgliedern gemischte Gefühle. Einerseits sei der Beschluß in Mainz demokratisch gefällt worden, und eigentlich sollten sich alle daran halten. Andererseits seien die Doppelmitgliedschaften immer noch besser als massenhafte Austritte.

Wie es weitergeht? Die neuen Doppelmitglieder werden den Ost-PEN überhaupt erst einmal kennenlernen und dabei auf den einen oder anderen treffen, der lieber nicht so genau kennengelernt werden möchte. Und im inzwischen völlig unwirtlichen Heimat- PEN der neuen „Doppelagenten“ dürften weitere Zerwürfnisse und Grabenkämpfe nicht lange auf sich warten lassen, obwohl Klaus Staeck, der als einer der ersten einen Antrag auf Doppelmitgliedschaft stellte, darin auf keinen Fall einen Spaltversuch sehen möchte. „Für mich sind die Anträge ein Versuch, den weitverbreiteten Zorn über die Eiszeit zwischen Ost- und West-PEN produktiv zu machen.“ Jürgen Berger